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Christian Murbach. Foto: zvg
Ukrainerinnen, die vor dem Krieg in ihrem Land geflüchtet sind, finden trotz Status S in der Schweiz nicht schnell Arbeit. Im Kanton Zug sieht das ein wenig anderes aus. Wir fragten Christian Murbach, Abteilungsleiter Soziale Dienste Asyl Kanton Zug, warum das so ist.
Christian Murbach, wie viele Ukrainerinnen mit Status S befinden sich im Kanton Zug?
Am 30. Mai dieses Jahres waren es 833.
Warum erhalten Ukrainerinnen automatisch den Status S?
Die Sozialen Dienste Asyl des Kantons Zug haben im Zusammenhang mit dem Asylverfahren und dem Aufenthaltsstatus keine Kompetenzen. Dies ist Sache des Bundes. Der Bundesrat hat im März 2022 kurz nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine den S-Status aktiviert, eigens für Schutzsuchende aus der Ukraine. Wer seither gegenüber dem Staatssekretariat für Migration in einem vereinfachten Verfahren nachweisen kann, vor diesem Krieg geflohen zu sein, bekommt den S-Status in den meisten Fällen umgehend.
Im Kanton Zug ist der Anteil an geflüchteten Menschen, die Arbeit gefunden haben, mit einem Anteil von 27 Prozent viel höher als in anderen Kantonen. Warum ist das so?
Es gibt viele Ursachen, die unterschiedlich zu gewichten sind. Zum einen spielen der gute Arbeitsmarkt und die internationalen Firmen in Zug eine Rolle. Folglich gibt es vermehrt Stellen, bei denen Deutschkenntnisse nicht unbedingt erforderlich sind. Englischkenntnisse können für eine Anstellung ausreichend oder gar wichtiger sein. Zum zweiten hat das Kantonale Sozialamt schon im März 2022 angefangen, mit den Geflüchteten Kurzassessments durchzuführen. Dadurch waren die Kompetenzen, die Berufserfahrung, die familiäre Situation und viele andere Parameter, die im Kontext von Erwerbsarbeit eine Rolle spielen, früh bekannt. Daraus konnten wir auf das Klientel zugeschnittene Massnahmen initiieren, und die Personen mit S-Status ihren Bedürfnissen entsprechend direkt vermitteln, in Deutschkurse einteilen, ans RAV überweisen oder an Mentoring-Programme verweisen.
Können Sie das Thema Mentoring noch detaillierter ausführen?
Darunter verstehen wir die meist persönliche Begleitung der Schutzsuchenden bei der Stellensuche in der Schweiz. Das Beispiel eines erfolgreichen Mentorings, das von freiwillig engagierten Frauen organisiert wurde, steht für einen dritten Erfolgsfaktor. Und zwar handelt es sich um die sehr gute Zusammenarbeit der Zuger Behörden untereinander und mit Freiwilligenorganisationen. Private Initiativen wurden von den öffentlichen Organen stets unterstützt, und wo möglich gefördert. In diesem Zusammenhang sind auch die zahlreichen Gastfamilien zu erwähnen, die nicht nur Gäste aus der Ukraine bei sich zu Hause aufgenommen haben, sondern diese auch bei der Stellensuche unterstützt haben. Da wurden nicht nur Ratschläge erteilt, sondern auch Beziehungsnetze aktiviert oder bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen tatkräftig Hilfe geleistet.
Der Sonderstatus S ermöglicht es einer in die Schweiz geflüchteten Person zu arbeiten. Wo liegt das Hauptproblem, dass Ukrainerinnen, die diesen Status haben, trotzdem Schwierigkeiten haben, Arbeit zu finden?
Die Ursachen sind vielfältig. Zu den wichtigsten Punkten gehören mangelnde Sprachkenntnisse, fehlende Berufsanerkennungen aber auch die Tatsache, dass der S-Status «rückkehrorientiert», sprich jeweils nur für ein Jahr befristet gültig ist. Unternehmen, die Personen mit S-Status einstellen beziehungsweise in sie investieren, gehen daher das Risiko ein, dass ihre Mitarbeitenden den S-Status und damit das Aufenthaltsrecht relativ kurzfristig wieder verlieren. Ein weiterer Punkt ist die Verschiedenheit der Ausbildungssysteme in der Schweiz und in der Ukraine. So schliessen rund 70 Prozent der ukrainischen Bevölkerung die Ausbildung mit einem universitären Diplom ab. Dies kann gegenseitig zu falschen Erwartungen und Hoffnungen führen.
Auch wenn sie nicht alle sofort eine Tätigkeit finden: Warum haben Ukrainerinnen im Kanton Zug grössere Chancen auf Arbeit als Flüchtlinge aus anderen Kulturkreisen und Staaten?
Wir stellen fest, dass bei den Ukrainerinnen und Ukrainern die berufliche Qualifikation bei allen genannten Unterschieden der Bildungssysteme näher bei den Schweizer Anforderungen liegen als bei Personen aus Nahost oder Afrika. Dasselbe gilt für Arbeitserfahrungen. Kommt hinzu, dass Frauen in der Ukraine üblicherweise eine sehr hohe Erwerbsquote und -beteiligung, das heisst viele Vollzeitstellen, aufweisen. Entsprechend gut ist die Kinderbetreuung etabliert. Dieses Verhältnis zur Erwerbstätigkeit ist daher bei den ukrainischen Frauen sehr ausgeprägt.
In welchen Berufsbereichen haben Ukrainerinnen mit Status S Arbeit im Kanton Zug gefunden?
Die Berufsbereiche und Branchen werden nicht statistisch erhoben. Aus den uns vorliegenden Firmenbezeichnungen kann man aber schliessen, dass grössere Gruppen in der Gastrobranche oder in der Landwirtschaft arbeiten. Auch selbständig Erwerbende gibt es mehrere. Auf dieser Basis ist allerdings keine qualifizierte Aussage möglich, in welchen Branchen Ukrainerinnen und Ukrainer besonders gute Chancen haben, eine Anstellung zu finden.
Aus anderen Kantonen hört man die Befürchtungen, dass Ukrainerinnen mit Status S plötzlich in die Heimat zurückkehren könnten und deshalb eine Anstellung nicht möglich sei. Warum misst der Kanton Zug diesen Bedenken weniger Bedeutung zu?
Man müsste die Unternehmen im Kanton Zug fragen, weshalb sie bereit sind, dieses Risiko einzugehen. Von behördlicher Seite ist klar, dass sich Berufstätigkeit positiv auf die Selbstständigkeit, das Wohlbefinden aber auch auf die Rückkehrfähigkeit der Ukrainerinnen und Ukrainer auswirkt. Es besteht daher aus behördlicher Sicht kein Anlass berufliche Tätigkeit nicht zu fördern wo immer möglich.
Zu Beginn des Krieges in der Ukraine stand die Schweizer Bevölkerung den Geflüchteten aus der Ukraine wohlwollend gegenüber. Jetzt dreht die Stimmung allmählich. Wie fest wirkt sich dieser Umstand auf eine mögliche Anstellung aus?
Man muss einen Unterschied machen zwischen Anstellungen und freiwilligem Engagement, zum Beispiel als Gastfamilie. Obwohl die Gastfamilienverhältnisse im Kanton Zug viel nachhaltiger sind als ursprünglich befürchtet, unterliegen sie stark der Dynamik des genannten zivilgesellschaftlichen Wohlwollens. Wir nehmen daher seit gut einem Jahr einen leichten, aber steten Rückgang der Gastfamilienverhältnisse zur Kenntnis. Demgegenüber werden Anstellungsverhältnisse weniger auf der Basis von reinem Wohlwollen, sondern viel stärker auf gegenseitigem Nutzen eingegangen. Anstellungsverhältnisse sind gewöhnlich mit einer Initialinvestition seitens des Arbeitgebers verbunden. Erst nach erfolgreicher Einarbeitung beginnt für den Arbeitgeber der Nutzen, auf welchen in der Folge aus nahe liegenden Gründen nur ungern verzichtet wird. Folglich hat die Dynamik des Wohlwollens auf Arbeitsverhältnisse einen viel geringeren Einfluss.
Ungewiss bleibt die Dauer des Krieges in der Ukraine. Wie schaut der Kanton Zug auf diese Entwicklung, wird der Zustrom von Ukrainerinnen anhalten oder eher nicht?
Jeder Prognose haftet eine Unsicherheit an. Dies gilt besonders für Vorhersagen im Asyl- und Flüchtlingsbereich, weshalb die Behörden in unterschiedlichen Szenarien denken. Vor wenigen Tagen schien es am wahrscheinlichsten, dass die Gesuche aus der Ukraine zurückgehen und die Rückkehrquote sich erhöht. Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms am 6. Juni präsentiert sich die Lage möglicherweise wieder anders, was zeigt: Alle Prognosen sind immer Momentaufnahmen.
Renato Cecchet
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