Wohnungsnot
Strategie des Kantons Zug wirkt zu zögerlich
Wenn Kinder unter einer Leseschwäche leiden, ist ein Lesehund ein möglicher Therapieansatz. Die Bibliothek Menzingen bietet dieses Angebot neu an.
«Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir» – wer hat diese Weisheit nicht schon auf den Weg bekommen. Nicht allen Kindern fällt das Lernen aber leicht. Nicht alle haben das Talent, Zahlen auf Anhieb mathematisch zu kombinieren oder Buchstaben in der richtigen Reihenfolge aufs Papier beziehungsweise auf den Bildschirm zu bekommen. Auch beim Lesen kann es hapern. Für solche Kinder wird es doppelt schwer, wenn sie vor der Schulklasse vorlesen sollen und dabei vielleicht für ihre Schwäche gehänselt oder ausgelacht werden.
In dieser Situation kann es hilfreich sein, in einem geschützten Rahmen beim Vorlesen eine Zuhörerschaft zu haben, die einfach da ist, aber auf das lesende Kind keinen Druck ausübt oder Noten verteilt.
Ein Lesehund zum Beispiel. Dieser gehört zu den sogenannten Therapiehunden, die Menschen in den verschiedensten Phasen des Lebens, bei Krankheiten, Behinderungen, Alterserscheinungen, psychischen und anderen Problemen begleiten und dessen Wirkung in der Fachwelt längst anerkannt ist.
Die Bibliothek Menzingen bietet Kindern von der 1. bis 6. Schulklasse jetzt die Möglichkeit an, einem Lesehund Texte aus Büchern vorzutragen. «Ich habe bereits vor Jahren auf Facebook von diesem Angebot erfahren. Seither liess mich diese Idee nicht mehr los», erklärt Brigitta von Holzen, Leiterin der Bibliothek in Menzingen.
Kürzlich fand der Kennenlern- und Schnuppernachmittag statt. Zahlreiche Kinder, vorwiegend Mädchen, waren zum Teil in Begleitung ihrer Mütter gekommen, um Lesehündin Raja und ihre Hundeführerin Livia Müller kennenzulernen. Ab November bietet die Bibliothek Menzingen Kindern einmal pro Monat am Mittwochnachmittag die Möglichkeit, Lesehündin Raja vorzulesen. Dies geschieht diskret und ohne Zuhörende und Zuschauende in einem separaten Raum. Jedes Kind erhält ein Zeitfenster von etwa 30 Minuten, um in Ruhe anzukommen, sich einzurichten, vorzulesen, wohlwollendes Feedback zu erhalten und sich zu verabschieden. Das Angebot ist kostenlos.
Brigitta von Holzen musste sich in Geduld üben, bis das Angebot eines Lesehundes in der Bibliothek Menzingen möglich wurde. «Als ich das erste Mal bei der Gemeinde nachgefragt habe, war diese Therapieform noch wenig bekannt und die Voraussetzungen deshalb ungünstig.» Seit etwa drei Jahren ist in einer Klasse ein Schulhund integriert. Und weil die Erfahrungen positiv waren, wurde auch das Lesehunde-Projekt in der Bibliothek bewilligt.
Dieses ist ein eigenständiges Projekt, ausserhalb der Schule. «Bei uns können leseschwache Kinder allein mit dem Hund Zeit verbringen, ohne Zuhörende und Leistungsdruck», sagt Brigitta von Holzen. Dem Hund sei es egal, ob ein Kind ein Wort dreimal anfangen müsse zu lesen. Der Schnuppernachmittag sei ein grosser Erfolg gewesen. «Viele Kinder, die da waren, haben sich gleich angemeldet oder ihre Mütter haben es getan.»
Dass Livia Müller und ihre Hündin Raja in Menzingen jeweils an einem Mittwochnachmittag bei der Therapiesitzung für die Kinder mitmachen, ist kein Zufall. Die Mutter der Hundebesitzerin, Catherine Müller, arbeitet in der Bibliothek Menzingen und vermittelte das Angebot. Dass Raja zur Lesehündin wurde, hat eine bewegende Vorgeschichte. Livia Müller arbeitet in einer Tierarztpraxis. «Raja wurde eines Tages gebracht. Sie sollte eingeschläfert werden.» Die Hündin sei aggressiv gegenüber anderen Hunden – und gegenüber Kindern. Raja blieb das Einschläfern erspart, Livia Müller behielt die Hündin privat. Eine Tierärztin, die spezialisiert ist auf das Verhalten von Hunden, gab Entwarnung und meinte, Raja könne umerzogen werden. «Ich habe dann zahlreiche Erziehungskurse besucht», erklärt Livia Müller.
Sie finde alle Bereiche gut, in denen Tiere zu Therapiezwecken für Menschen eingesetzt würden. «Lesehunde waren in Deutschland schon bekannt, in der Schweiz aber noch nicht. Als ich ein Ausbildungsangebot beim Therapie Hunde Zentrum Schweiz sah, habe ich mich dazu entschlossen, Raja zum Lesehund auszubilden.»
Raja musste lernen, in hektischen Situationen ruhig zu bleiben. «Sie muss laute Kinder ertragen können und musste sich auch daran gewöhnen, dass die Kinder über sie steigen oder sie alle anfassen und streicheln wollen», erklärt Livia Müller. Inzwischen sei es so, dass Raja es geniesse, dass sie im Mittelpunkt stehe. Und die Hündin sei inzwischen sensibel und spüre, wenn ein Kind Angst vor ihr habe. «Dann verhält sie sich noch ruhiger.»
Dass Livia Müller, die Mutter einer vierjährigen Tochter ist, neben ihrem Beruf Zeit findet, einmal im Monat mit Raja nach Menzingen zu fahren, verdanke sie auch ihrem Chef. «Ich arbeite eigentlich am Mittwochnachmittag. Aber er gibt mir für diese neue Tätigkeit frei.»
Das Lesehund-Angebot in der Bibliothek Menzingen wird von der Gemeinde finanziert. Deshalb gilt es primär für Kinder aus Menzingen. «Sollten wir freie Plätze haben, wären aber auch auswärtige willkommen, sagt Brigitta von Holzen. Raja darf vorerst bis April 2024 den Kindern beim Lesen helfen. Aber die Bibliotheksleiterin ist sich sicher: «Das wird ein Erfolg. Wir werden auch danach weitermachen können.»
Renato Cecchet
Lade Fotos..