Wohnungsnot
Strategie des Kantons Zug wirkt zu zögerlich
Mit der Ausstellung «Dynamik der (Un-)Ordnung» geht das Kunsthaus Zug neue Wege. Im neuen Schaudepot verschmelzen Aufbewahrungs- und Ausstellungsort ineinander. Die Idee dazu hat einen rationalen Hintergrund: Der Platzmangel.
Wer aus der Not eine Tugend macht, versucht ungünstige Voraussetzungen zu nutzen, um daraus etwas Gutes entstehen zu lassen. Das Kunsthaus Zug sieht sich in dieser Situation. Dessen Sammlung umfasst rund 10'000 Werke. Obwohl erst 1977 gegründet und seit 1990 am Standort an der Dorfstrasse 27, verfügt das Kunsthaus Zug heute über eine hochstehende, öffentliche Kunstsammlung mit regionaler, nationaler und internationaler Bedeutung.
Das Zuger Kunsthaus verfügt zum Beispiel über die bedeutendste Sammlung der Wiener Moderne ausserhalb von Wien, ermöglicht durch die schweizerische Stiftung Sammlung Kamm. Diese stellt ihre Bestände dem Kunsthaus Zug gemäss ihrem Stiftungszweck als Dauerleihgabe zur Verfügung. Unter den mehr als 400 Werken der Stiftung Sammlung Kamm befinden sich Werkgruppen von Gustav Klimt, Oskar Kokoschka oder Egon Schiele, aber auch von Paul Klee oder Fernand Léger.
Gleichzeitig fördert das Kunsthaus das Schaffen von Kunstschaffenden aus dem Kanton Zug . «Und wir sammeln und zeigen auch Werke von älteren Schweizer Künstlerinnen und Künstlern, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind», erklärt Dr. Matthias Haldemann, Direktor des Kunsthauses. «Zudem werden einzelne Kunstschaffende nach Zug eingeladen, hier eigene, mehrjährige, massgeschneiderte Projekte, auch im öffentlichen Raum, zu realisieren. Die Leihgaben der Stiftung Sammlung Kamm haben uns international auf die Weltkarte gebracht. Weil wir uns in einem Umfeld mit grossen Kunstmuseen befinden, die einen Vorsprung von 50 bis 100 Jahren haben, mussten wir uns Etwas einfallen lassen, um das Kunsthaus Zug in der Museumslandschaft zu positionieren. Es gibt bei uns also viel zu entdecken.»
Die Zuger Kunstgesellschaft, die 1957 gegründet wurde, ist für den Betrieb des Kunsthauses Zug verantwortlich und zudem Eigentümerin der Kunstsammlung. «Leider haben wir viel zu wenig Platz für eine kontinuierliche Sammlungspräsentation», erklärt Matthias Haldemann. Das Depot im Kunsthaus an der Dorfstrasse platzt aus allen Nähten, auch die Aussenlager sind randvoll.
Für die nächste Ausstellung macht das Kunsthaus jetzt eben aus der bereits angetönten Not eine Tugend. Im Schaudepot an der Oberallmendstrasse 1 in Zug öffnet am Sonntag, 25. August, die Ausstellung «Dynamik der (Un-)Ordnung». Der Ausstellungsort hat eine eigene Geschichte, die hier einleitend zur Ausstellung erwähnt werden muss.
Die Zuger Kunstgesellschaft bildet zusammen mit der Stiftung der Freunde Kunsthaus Zug die Trägerschaft des Kunsthauses. Die Stiftung ist Eigentümerin der Liegenschaft «Hof im Dorf», in der das Kunsthaus Zug untergebracht ist. Sie ist aber auch Mitglied des Trägervereins KunstCluster Zug, bestehend aus der Stiftung der Freunde Kunsthaus Zug, dem Verein Atelier63, dem Verein Film Zug, dem Quartierverein Guthirt und der Tech Cluster Zug AG.
Der KunstCluster Zug versteht sich als «eine urbane Lösung für mehr Kunst in der Stadt Zug.» Der Verein hat die 1500 Quadratmeter grosse alte Shedhalle an der Oberallmendstrasse auf dem Areal des Haushaltsgeräte-Herstellers V-Zug AG gemietet. Die Jahresmiete teilen sich Kanton und Stadt Zug auf.
Das Areal wird rein kulturell genutzt. So finden dort diversen Kunstateliers sowie Filmschaffende Platz. Ein zirka 300 Quadratmeter grosser Raum kann gemietet und für kunst- und kulturbezogene Aktivitäten genutzt werden. Der grösste Teil, eine über 700 Quadratmeter umfassende Halle, wird vom Kunsthaus Zug unter dem Namen Schaudepot genutzt. Wie es der Name vermuten lässt, wird das Schaudepot primär als Aufbewahrungsort für robuste Werke aus Holz, Metall und Stein verwendet. Und für «Dynamik der (Un-)Ordnung» jetzt eben auch als Ausstellungsraum. Aus der Raumnot entsteht eine Tugend.
Ausgangspunkt der ersten Ausstellung ist der spielerische Umgang mit dem Depot als Lagerort für Kunst. So verschieden Depots sein mögen, haben sie doch eines gemeinsam: Jedes Depot hat seine Ordnung, jedes Objekt seinen festen Platz, ist inventarisiert und erfasst. Schliesslich will die Übersicht gewahrt und jedes Objekt rasch aufgefunden werden können.
Doch was passiert, wenn die Logik des Depots auf eine Ausstellung übertragen wird? In «Dynamik der (Un-)Ordnung» werden rund 40 Plastiken, Skulpturen und Installationen von rund 20 Kunstschaffenden mehrheitlich alphabetisch geordnet präsentiert – eine an sich willkürliche und wertfreie Ordnung. Doch der Faktor Zufall stellt unerwartete und spannungsreiche Beziehungen her, die zuweilen einen surrealen Charakter annehmen.
Die grosszügige Halle lädt zum Flanieren und Entdecken ein. Neben «zufälligen Begegnungen» und Werken in nur halbgeöffneten Kisten wird auch die historische Entwicklung der Skulptur sichtbar: von der naturgetreuen Darstellung des menschlichen Körpers im 19. Jahrhundert zu freien skulpturalen Formen der künstlerischen Avantgarde. Bewegungen wie der Kubismus, der Surrealismus und die Abstraktion definieren die Skulptur neu. Formen werden fragmentiert, verzerrt, neu zusammengesetzt, abstrahiert oder bereits «ungegenständlich» konzipiert.
Dabei stellt sich nicht zuletzt die Frage nach der künstlerischen Sicht auf Ordnungssysteme. Seit der Moderne brechen Kunstschaffende bewusst mit bestehenden Ordnungen, mit Konventionen und Sehgewohnheiten. «Ich freue mich sehr. Ich glaube, es wird eine gelungene Ausstellung, eine Art Landschaft. Sie nimmt Bezug auf den technischen und architektonischen Industrieort und auf unsere Depotfunktion, wirkt also auch wie ein Werkplatz. Die Kunst wird in einem anderen Aggregatzustand präsentiert», sagt Matthias Haldemann.
Er hofft, dass das Schaudepot mit seinem eigenen Charakter und Standort im Zuger Guthirt-Quartier andere Menschen anspricht. «Vielleicht kommen Besucherinnen und Besucher aus der Nachbarschaft vorbei, weil die Ausstellung in der hellen Halle offener und vielleicht einladender wirkt als das Kunsthaus mit seinem historischen Äusseren.»
Das Schaudepot dient dem Kunsthaus auch als willkommenes Lager, im Moment zeitlich beschränkt auf die nächsten vier Jahre. Matthias Haldemann hofft, dass es mehr wird. «Alle unsere Depots sind temporär, wir müssen immer wieder umziehen.» Dazu rückt das Schaudepot auch als mögliche Zwischenlösung für die geplante Erweiterung des Kunsthaus Zug an der Dorfstrasse 27 in den Fokus. Das Vorprojekt dazu wurde im Juni präsentiert. Später muss die Politik darüber entscheiden. «Im Schaudepot könnten während der Bauzeit Ausstellungen stattfinden. Wir müssen das Kunsthaus vollständig ausräumen und auch die Büros anderswo unterbringen.»
Renato Cecchet
Dynamik der (Un)Ordnung, ab Sonntag, 25. August 2024, Kunsthaus Zug Schaudepot, Oberallmendstrasse 1, 6300 Zug. Das Kunsthaus hat eine neugestaltete Webseite:www.kunsthauszug.ch. Dort gibt es alle Infos zur Ausstellung, Öffnungszeiten und den anderen Angeboten des Kunsthauses.
Kuratiert ist die Ausstellung im Kunsthaus Zug Schaudepot von Jana Bruggmann. Ausgestellt werden Werke von Jo Achermann, Hans Aeschbacher, Hans-Peter von Ah, Anna Margrit Annen, Joannis Avramidis, Serge Brignoni, Trudi Demut, Olafur Eliasson, Hans Fischli, Karl Geiser, Florin Granwehr, Hermann Haller, Bethan Huws, Ödön Koch, Karl Prantl, Jakob Probst, Katharina Sallenbach, Roman Signer und Fritz Wotruba.
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