Susanne Meierhans
reiste vor 51 Jahren als erste Schweizerin an den Südpol. Ihre spannende Geschichte finden Sie hier.
1969 reiste die damals 20-jährige Susanne Meierhans als erste Schweizerin an den Südpol. 51 Jahre später denkt sie mit glasigen Augen an die Zeit zurück. «Unbeschreiblich» nennt sie diese; ich versuche dennoch ihre Geschichte in Worte zu fassen.
Portrait Als Susanne Meierhans im Spätjahr 2019 in unser Büro kam, war «hereinschneien» die wohl passendste Bezeichnung für das Auftreten der älteren Dame. Weisses Haar umspielte ein jugendlich wirkendes Gesicht mit klugen, verschmitzten Augen, als sie in den Türrahmen trat und mit einem fröhlichen «Hallo!» auf sich aufmerksam machte. Sie habe einen Aufruf in unserer Zeitung gelesen und wolle uns deswegen ihre einzigartige Geschichte erzählen.
Einige Monate später. Die Redaktion läuft auf Hochtouren. Gute Geschichten müssen her, coronafreie Geschichten von Menschen aus dem Kanton Zug. Ich grabe die drei Seiten hervor, die mir Susanne Meierhans dagelassen hatte; einige Worte zu ihrer ungewöhnlichen Reise. «Bin keine Schreiberin», vermerkte sie knapp. Ich hatte mir ihre Geschichte aufgehoben, denn sie brauchte mehr Platz, als uns in «normalen» Zeiten zu Verfügung stand. In diesen ausserordentlichen Tagen ist Platz da für aussergewöhnliche Geschichten.
Als Susanne Meierhans erneut unser Büro betritt, ist die Begegnung nicht minder fröhlich, wenn auch distanzierter. «Ach wissen Sie, Frau Gysi, ich komme gerne vorbei. Solange wir Abstand halten und uns sauber die Hände waschen, passiert schon nichts.» Sie wolle ihren Humor nicht verlieren, meinte sie einige Tage zuvor am Telefon und bestand auf ein persönliches Gespräch. Als ich ihr gegenübersitze, fällt mir ein dünner blauer Schal auf, der locker um ihren Hals hängt. Lustige Pinguine tummeln sich darauf.
Im Dezember 1949 ist die heutige Zugerin Susanne Meierhans in Biel geboren worden. Ein aufgewecktes Mädchen, klug, und schon früh auf der Suche nach Abenteuern. Mit 19 Jahren stiess sie durch Zufall auf ein Inserat in der Zeitung. Ein Forscherteam suchte für seine Expedition am Südpol einen Übersetzer: Englisch – Französisch. Die junge Frau Meierhans fackelte nicht lange. Sie war bilingue aufgewachsen, sprach deshalb fliessend Französisch und hatte soeben ein Jahr in England verbracht. Im Dezember 1969 begann sie ihre Reise an den Südpol und setzte 1970 als erste Schweizer Frau den Fuss an den Polarkreis in der Antarktis.
Das Forschungsschiff, die M.S. Lindblad Explorer, war zugleich Eisbrecher und Passagierschiff – bis heute eine Seltenheit. Auserwählte und meist sehr wohlhabende Passagiere waren mit an Bord des massiven, weiss-roten Dampfers; darunter bekannte Namen wie Mary Hemingway, Frau des Schriftstellers Ernest Hemingway, sowie der namhafte Schreiberling Henry Miller. «Mit Mrs. Hemingway durfte ich sogar 'zmörgele'», erzählt Susanne Meierhans und blickt dabei gedankenversunken aus dem Fenster. Als Übersetzerin sei sie bei vielen Forschungsarbeiten dabei gewesen, was ungeheuerlich werden konnte: «Einmal wurde die Speckschicht einer Robbe gemessen. Dafür musste man dem Tier den Kopf abhacken – ich wäre beinahe in Ohnmacht gefallen.»
Während sie erzählt, wird deutlich, wie sehr Susanne Meierhans die Zeit in der Antarktis genossen hat. Wiederholt füllen sich ihre Augen mit Tränen der Freude und der Wehmut. Sie schwärmt über die grenzenlose Schönheit der Eisberge, die in der Morgendämmerung rosa schimmern, erzählt von gackernden und stinkenden Pinguinherden, und lacht bei der Erinnerung an Menschen, die sie kennengelernt hatte. Mit 20 Jahren war sie die weitaus jüngste Frau der Crew, was bei Forschern, die jeweils seit langer Zeit keine Frau mehr gesehen hatten, für Aufsehen sorgte. «Als wir einmal an Land gingen, um eine amerikanische Station zu besuchen, rief einer: 'Seeing a woman, it's feeling like christmas!' (Ich sehe eine Frau, es fühlt sich an wie Weihnachten!)», schildert sie und lacht dabei herzhaft. «Wissen Sie, Frau Gysi, wenn Sie einmal dort gewesen sind, müssen Sie nichts anderes mehr sehen.» Damals sei ihr die riesige Chance, die ihr gegeben wurde, nicht einmal bewusst gewesen. «Heute bin ich mehr als dankbar dafür.»
Während ich durch die mitgebrachten Alben mit vergilbten Bildern blättere, fallen Susanne Meierhans laufend neue Erinnerungen ein. Vom ohrenbetäubenden Lärm abbrechender Eisblöcke berichtet sie und von gigantischen See-Elefanten, die sich auf schneebedeckten Schollen umherwälzen. Sie erinnert sich an Schlittenfahrten durch das weite Weiss der Antarktis und an das Wasser bei der englischen Station: «1968 ist da ein Vulkan ausgebrochen. Zwei Jahre später, als wir die Station besuchten, war das Wasser noch immer warm. Wahnsinn.» Eine Büchse Ovomaltine habe sie damals in einem unberührten Häuschen gesichtet. Sie erinnere sich daran, als sei es gestern gewesen. «Und einmal, da wurden wir zum Essen eingeladen. Albatros. Für die Einheimischen normal – für mich eher sonderbar.»
Etwas bereitete der damals 20-Jährigen Mühe: anhaltendes Unwohlsein. Auf ihrer Englandreise ein Jahr zuvor hatte sie sich ein «Heimwehbäuchlein» angegessen. Leicht pummelig, mit 78 Kilogramm, begann sie ihre Reise. Durch wiederholtes Erbrechen und wenig Appetit, verlor sie innerhalb kürzester Zeit viel Gewicht. «Heute 22 Mal erbrochen», lautete einer ihrer Tagebucheinträge. Susanne Meierhans ging von Seekrankheit aus, was sich nach dem Besuch beim Schiffsarzt als falsch herausstellte. Nach einem Kollaps erwachte sie auf der Krankenstation. Die Diagnose: «You're not seesick – you are pregnant! (Sie sind nicht seekrank – Sie sind schwanger!)» Ein Schock für die junge Frau. Und so fand ihre Reise nach einem halben Jahr ein jähes Ende. Viel zu früh trat sie die Heimkehr an und wusste nicht, wie sie das ihren Eltern erklären sollte. Da sie während der Reise ganze 20 Kilogramm abgenommen hatte, erkannte man nicht sofort, dass es sich in der Bauchregion nicht mehr um das vertraute «Heimwehbäuchlein», sondern um ein wachsendes Kind handelte. Als sie es ihren Eltern erzählte, nahm sie ihr Vater in den Arm und meinte: «Usgrächnet du, Susi, wo no so viel hesch vorgha!» Die Mutter fragte, wer es denn gewesen sei; der Kapitän, ein Matrose, oder doch der Schiffskoch? «Nei Mami, es isch de Urs!», – ihr Exfreund.
Bald werde ihr «pregnant» 50 Jahre alt. Nur ein Monat nach ihrer Heimkehr, im Juni 1970, brachte sie ein gesundes Mädchen zur Welt. «Das ist pures Glück, wenn man bedenkt, dass ich dauerhaft unterernährt war und für die Reise undenklich viele Impfungen über mich ergehen lassen musste.» Trotz des ursprünglichen Schocks ist sie heute froh darum, wie alles seinen Lauf genommen hatte. Zu ihrer Tochter pflege sie ein inniges Verhältnis, sie habe einen flotten Schwiegersohn und sei stolze Grossmutter zweier toller Enkelkinder. Ob sie je wieder an den Südpol reisen wolle? «Oh ja», erwidert sie, «auch wenn ich weiss, dass es nicht einfach wird, da sich einiges verändert, und an Pracht verloren hat, ist es mein grösster Wunsch eines Tages dahin zurückzukehren.»
Von Kristina Gysi
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