Stadt Zug
Cyrill Lim ist neues Mitglied der Kulturkommission
Cornelia Bänninger, Amt für Berufsbildung Zug
Ein Produkt kostet 10 Franken und ist in der Aktion jetzt 10 Prozent günstiger. Was kann ich sparen? Cornelia Bänninger sagt, dass über acht Prozent der Menschen in der Schweiz mit solchen Aufgaben Probleme haben.
Frau Bänninger, 400'000 Menschen in der Schweiz haben Mühe, einfachste Rechenaufgaben zu lösen. Wie kann das sein?
Wir haben doch eine
Schulpflicht? Das ist eine gute Frage. Viele Menschen, mit denen wir geredet haben, waren zwar in der Schule, aber sie haben dort irgendwie «abgeschaltet», sei es wegen eines Vorfalls in der Familie, wegen eines Schicksalsschlags oder aus anderen Gründen. Doch sie konnten sich immer irgendwie durch die Schulzeit schmuggeln. Andere Personen mit einer Rechenschwäche haben die Grundkenntnisse in der Schule zwar gelernt, aber sie haben die Fähigkeiten später dann wieder verloren, weil sie sie nicht gebraucht und geübt haben. Auch diese Menschen müssen wieder von vorne anfangen.
Wie kann man sich ohne Grundkenntnisse in Mathematik durch die Schule schmuggeln?
Jemand ist vielleicht nicht gut in Mathe, aber er kompensiert das durch eine gute Note in Deutsch oder in einem anderen Fach. Ich staune auch, wie das manchmal möglich ist, aber unsere Fälle zeigen: Es passiert. Und viele brauchen die mathematischen Fähigkeiten später auch nicht mehr oft. Und da ist es ähnlich wie beim Lesen und Schreiben: Man muss es immer wieder anwenden und üben.
Welche Probleme stellen sich für diese Personen mit fehlenden Rechenkenntnissen im Alltag?
Das fängt schon bei ganz einfachen Dingen an. Sie gehen einkaufen und haben Mühe, ihr Geld einzuteilen. So wissen sie zum Beispiel nicht, ob das Geld, das sie noch haben, für eine Tafel Schokolade reicht oder nicht. Oder sie haben Mühe mit Prozentrechnen und können nicht ausrechnen, was sie sparen, wenn etwa ein Artikel heruntergesetzt ist. Oder sie fahren mit dem Zug und müssen berechnen, wie lange sie auf dem Perron warten müssen bis der Anschlusszug fährt. Und, und, und... Da gibt es viele Beispiele.
Und wie helfen sich dann die Leute?
Sie entwickeln irgendeine Strategie. Ich kenne das zum Beispiel von Lese- und Schreibschwächen. Dann fragt man jemanden, ob er einem helfen könne, da man gerade die Lesebrille nicht dabei habe. Oder man sagt, man habe die Hand verstaucht und könne grad selber nicht schreiben. Bei Matheaufgaben hilft sicher auch viel der Taschenrechner auf dem Handy.
Ah, stimmt. Der
Handy-Taschenrechner löst ja praktisch alle Rechenaufgaben. Damit sollte das Problem doch gelöst sein.
Ja, der Rechner reicht sicher, um ein paar Preise zusammenzurechnen. Aber bei komplizierteren Aufgaben braucht es ein vertieftes Verständnis. Zum Beispiel: Wie lange brauche ich, um von A nach B zu kommen. Oder ein Bauarbeiter muss einen Mörtel aus verschiedenen Komponenten in einem gewissen Verhältnis zusammenmischen. Oder eine Coiffeuse, die eine Farbe mischt und dazu Prozente braucht. Ohne Grundkenntnisse hilft das beste Gerät nichts.
Wie muss ich mir das konkret vorstellen? Die Leute kennen die Zahlen schon, sie können diese einfach nicht miteinander kombinieren?
Ja, sie haben schon eine Ahnung von Zahlen. Es ist nicht wie bei den Analphabeten, welche die Buchstaben nicht kennen. Aber eben: Wenn es dann um konkrete Anwendungen geht, wie zum Beispiel einer Zeitplanung, dann stehen sie am Berg.
Mit welchen Strategien schmuggeln sich denn Personen mit Schwierigkeiten im Rechnen durchs Leben?
Meistens funktioniert das ganz gut. Sie haben einen Job, in dem sie sich arrangiert haben und auch innerhalb der Familie macht vielleicht die Frau die Finanzen. Probleme tauchen aber dann auf, wenn sich etwas verändert. Wenn jemand zum Beispiel den Job verliert und sich eine neue Stelle suchen muss. Dann kann es nicht mehr kaschiert werden. Oder die Kinder kommen in die Schule und wollen, dass man ihnen bei den Aufgaben hilft. Und man darf nicht vergessen, dass diese Menschen aufgrund ihrer Rechenschwäche oft eine gewisse Scham empfinden, es ist ihnen unangenehm und es braucht Überwindung zu sagen, ich brauche jetzt Hilfe.
Wie kann ich jemandem helfen, wenn ich merke, dass er eine Rechenschwäche hat?
Sie sollten das Thema unbedingt ansprechen. Und dieser Person auch sagen, dass es dafür Kurse gibt. Es braucht eine gewisse Zeit, bis sich die Leute bewusst sind, dass sie jetzt etwas ändern müssen. Unsere Kursleiterinnen berichten mir, dass die Schwäche vier bis sieben Mal von verschiedenen Seiten angesprochen werden muss, bis es jemand als wirkliches Problem erkennt. Und im Kurs selbst geht es dann am Anfang auch erst darum, dass die Leute ein gewisses Selbstvertrauen schöpfen und merken: Ich kann das.
Was kostet denn so ein Kurs?
Das ist sehr unterschiedlich. Die Lese- und Schreibkurse für deutschsprachige Personen sind am Weiterbildungszentrum des Kantons Luzern für Personen aus der Zentralschweiz kostenlos. Anderswo kosten sie etwas, aber nicht sehr viel. Sie sind extra so günstig gehalten, dass möglichst viele Personen teilnehmen können.
Wer besucht die Kurse?
Das sind Personen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren. Und gesellschaftlich querbeet. Das kann eine Fachangestellte Gesundheit sein, die Mühe hat, einen Rapport zu schreiben. Oder eine Verkäuferin.
Gerade als Verkäuferin oder als Verkäufer müsste man meinen, dass Rechnen eine Voraussetzung für den Job ist...
Man darf nicht vergessen, dass heute vieles automatisiert ist. Die Verkäuferin muss auf der Kasse vielleicht nur das Bild eines Artikels anklicken und die Kasse rechnet dann automatisch zusammen. Das klappt meistens ganz gut. Aber es kann natürlich auch Tücken haben. Wenn die Verkäuferin einen Artikel aus Versehen mehrmals angetippt hat und sich der Kunde dann beschwert, dass er zu viel bezahlen muss. In diesem Moment sind Personen mit einer Rechenschwäche dann stark überfordert.
Es gibt doch diesen Fussballer, der bei Vertragsverhandlungen gesagt haben soll: «Ein Drittel ist mir zu wenig, ich will einen Viertel!»
(Lacht.) Ja, es gibt ja Ex-Mister-Schweiz André Reithenbuch, der zu seiner Schreib- und Leseschwäche steht. Er erzählte mal, er habe sich durch die Schule schmuggeln können, weil er in Mathe besonders gut war. Ich möchte auch betonen, dass das Ganze nichts mit dem IQ zu tun hat, es ist also keine Frage der Intelligenz. Ich weiss von einem Uni-Professor, der eine Schreibschwäche entwickelt hat, weil er halt immer seine Assistenten hatte, die für ihn alles geschrieben haben. Dann hat er es mangels Übung einfach wieder verlernt. Es gibt also alles Mögliche. Und ich möchte betonen, dass wir hier von Menschen sprechen, die mehrheitlich in der Schweiz die Schule besucht haben.
Es ist in jedem Alter möglich, seine Rechenkompetenzen zu verbessern. Personen, die Schwierigkeiten mit Alltagsmathematik haben, finden auf der Website www.besser-jetzt.ch Angebote und Kurse in ihrer Region. Die Hotline 0800 47 47 47 gibt auch telefonisch Auskunft.
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