Stadt Zug
Cyrill Lim ist neues Mitglied der Kulturkommission
Politikwissenschaftlerin Isabelle Stadelmann. Bild: René Ruis
Die Politikwissenschaftlerin Isabelle Stadelmann erforscht die Prozesse der politischen Meinungsbildung. Sie sagt, die Leute gingen oft von falschen Voraussetzungen aus.
Isabelle Stadelmann, wie würden Sie reagieren, wenn in ihrer Nachbarschaft eine 5G-Antenne gebaut werden soll?
Ich musste mich zum Glück noch nicht damit befassen. Ich würde abwägen, was es mir oder der Allgemeinheit bringt, und welche Nachteile daraus entstehen.
Wenn Sie sich also schnelleres Internet wünschen, akzeptieren Sie die Antenne eher?
Absolut. Gegen ein Atommüll-Endlager in meiner Nachbarschaft hätte ich wohl eher etwas einzuwenden, weil der Nutzen für mich persönlich nicht so klar ist. Wenn einem der Nutzen nicht klar ist, ist man besonders offen für negative Argumente.
Wie kommt das?
Negative Argumente haben einen strukturellen Vorteil. Denn meistens sind Argumente für etwas Neues – zum Beispiel eine neuartige Hochspannungsleitung – viel komplizierter als Argumente dagegen. Bei einem einfachen, knackigen Argument gegen Neues hören aber alle zu.
Warum?
Neuerungen bringen immer Unsicherheit mit sich. Darauf reagieren Menschen oft mit Zurückhaltung, und bleiben lieber beim Bewährten.
Zur Umsetzung der Energiestrategie 2050 sind Erweiterungen des Stromnetzes unumgänglich. Warum beschäftigen Sie sich da überhaupt mit der Akzeptanz in der Bevölkerung?
Für die Menschen ist es ein grosser Unterschied, ob sie an der Urne zur Energiestrategie ja sagen, oder ob sie dann auch ja sagen zu einem riesigen Windrad in ihrer Nachbarschaft.
Sie werden sagen: Anderswo schon, aber nicht bei mir!
Genau, das ist ein typischer Grund der Ablehnung, der sogenannte Nimby-Effekt – «not in my back-yard», zu Deutsch nicht in meinem Hinterhof. Doch dieser Effekt lässt sich überwinden. Bei Hochspannungsleitungen gibt es regelmässig Einsprachen, die auf dieser eigentlich egoistischen Argumentation beruhen. Die Leute finden Hochspannungsleitungen zwar grundsätzlich okay, wollen sie aber nicht bei sich, weil es ihnen auf die eine oder andere Art Kosten verursacht: Zum Beispiel sinkt der Wert des Grundstücks. Basiert der Wiederstand tatsächlich auf diesem Nimby-Phänomen, kann man die Leute gewinnen, wenn man ihre Kosten kompensiert.
Funktioniert das tatsächlich so einfach?
Ja. Natürlich braucht es viel Zeit. Aber es funktioniert.
Und wenn nicht?
Es funktioniert nicht, wenn die Argumente grundsätzlicher werden. Wenn jemand zum Beispiel Wind-
energie grundsätzlich ablehnt, weil er die Vögel schützen will, ist das ein viel grösseres Problem.
Wie löst man das?
Eine Möglichkeit ist, dass man stärker über Alternativen diskutiert. Wenn eine Gemeinde ihre Einwohner fragt, ob sie ein Windrad wollen oder nicht, ist die Antwort wahrscheinlich: Nein. Denn es gibt viele Gründe dagegen. Wenn aber die Gemeinde sagt: «Wir brauchen dieses Windrad und haben verschiedene Varianten ausgearbeitet, welche wollt ihr?», dann kann es klappen.
Im Frühjahr hat der Nationalrat das neue CO2-Gesetz bachab geschickt. Jetzt hat der Ständerat eine noch viel schärfere Variante durchgewinkt. Was ist passiert?
Ein Umdenken hat stattgefunden. Es gab auf der ganzen Welt Klimaproteste. Immer mehr glaubwürdige Leute aus der Wissenschaft und Exponenten vertreten die Überzeugung, dass eine Besteuerung des CO2-Verbrauchs sinnvoll ist. Der Ständerat übernahm nun die Funktion eines Exponenten, der hinsteht und ja dazu sagt.
Eine CO2-Abgabe gibt es in der Schweiz schon seit Jahren in kleinerem Massstab. Warum kommt die Diskussion erst jetzt auf?
Das erstaunt mich auch. Schon heute erhält jemand, der wenig CO2 verursacht, mehr Geld zurück als er einzahlt. Diese Rückvergütung erfolgt über die Krankenkassen. Es ist mir ein Rätsel, warum das von Befürwortern des neuen CO2-Gesetzes nicht stärker als positives Beispiel für einen finanziellen Anreiz hervorgehoben wird. Denn schlussendlich geht es meistens um die Frage: Wieviel muss ich zahlen?
Fällen wir aber schlussendlich nicht viele Entscheide einfach aus dem Bauch heraus?
Klar spielen die Werthaltungen bei solchen Entscheidungen eine grosse Rolle. Beispielsweise ist bekannt, dass Leute, die den Klimawandel als menschengemacht akzeptieren, eine viel grössere Bereitschaft haben, Projekte wie erneuerbare Energien oder CO2-Steuern zu akzeptieren. Aber niemand ist immun gegen Kosten. Egal wie grün man ist, ob man am Schluss des Jahres tausend Franken mehr oder weniger zahlen muss, ist für alle relevant.
Muss die Wissenschaft politischer werden?
Natürlich muss die Wissenschaft ergebnisoffen sein. Aber wir dürfen uns nicht hinter dieser Haltung verstecken. Wir müssen die Fakten in die Debatten einbringen.
Beat Glogger
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