Kamal Bouchboura
stand im März zum ersten Mal am Start der Zugerberg Finanz Trophy
2021 holte Vera Güntert nicht nur ihre ersten Weltcuppunkte im Eisschnelllauf, sie qualifizierte sich gar für die Weltmeisterschaften in Heerenveen (NED) und erreichte beim Massenstartrennen den hervorragenden 12. Platz. In einem Interview hat die 23-jährige Alöslerin mit uns gesprochen und viele spannende Details enthüllt.
Interview Die Mutter arbeitet als Grundstufenlehrperson, der Vater ist Gemeindepräsident von Oberägeri und die drei Töchter beweisen sich als waschechte Sportskanonen: Bei der Familie Güntert ist wohl immer etwas los. Während die Jüngste der Günterts im Kader des FC Luzern mitspielt, sind die älteren zwei Schwestern blitzschnell auf dem Eis unterwegs. Vera und Jasmin betreiben Eisschnelllauf und sind, um zu trainieren, oftmals für lange Zeit im Ausland. Mit mir haben die beiden Schwestern und Vater Marcel Güntert im Interview über die Randsportart Eisschnelllauf gesprochen. Dabei berichteten sie von Herausforderungen, Ängsten und bevorstehenden Zielen.
Vera, wie kamst du zum Eisschnelllauf ?
Vera: Meine Schwester Jasmin und ich haben beide mit Inlineskating bei den «Speed Skaters Zug» angefangen, wurden dort immer besser und konnten sogar an Europameisterschaften teilnehmen. Mit der Zeit haben wir nach einer Möglichkeit gesucht auch im Winter fürs Inlineskaten zu trainieren. So wurden wir darauf aufmerksam, dass es in Zürich das Angebot gibt, Shorttrack zu machen. Nach einem Jahr Shorttrack sind wir in 2010 dann zum Eisschnelllauf gewechselt.
Macht ihr heute noch Inlineskating oder habt ihr komplett auf die Karte Eisschnelllauf gesetzt?
Vera: Mit Eisschnelllauf haben wir eigentlich begonnen, um für die Inliners zu trainieren. Mittlerweile hat sich das umgekehrt. Wir trainieren heute Inline fürs Eis. Wettkämpfe machen wir auf den Rollschuhen nicht mehr viele.
Könnt ihr erklären, wie Eisschnellauf genau funktioniert? Welche Disziplinen gibt es da?
Vera: Eisschnelllauf ist ähnlich wie Inlineskaten, unterscheidet sich aber im Detail. Eisschnelllauf ist technisch anspruchsvoller und man ist auf millimeterdünnen Kufen unterwegs. Bei den Disziplinen gibt es Einzelstreckenrennen auf verschiedene Distanzen. Dort läuft man alleine und die Zeit wird gemessen. Dann gibt es zwei Teamdisziplinen, den Teamsprint und den Teampursuit, die jeweils zu dritt gelaufen werden. Beim Massenstartrennen treten maximal 24 Teilnehmende gegeneinander an. Es gibt in dieser Disziplin Zwischensprints und am Schluss einen Ziellauf, dort werden jeweils Punkte verteilt.
Marcel: Spannend finde ich, dass Eisschnelllauf die schnellste Sportart ist, die nur aus Eigenkraft ? also ohne Gefäll, Übersetzungen etc. ? gemacht wird.
Wie häufig trainiert ihr, Vera und Jasmin, in der Woche?
Vera: Wir haben im Sommer sechs Tage die Woche Training und einen Tag Pause.
Marcel: Im Sommer sind das ungefähr 25 Stunden pro Woche.
Vera: Und im Winter sind es weniger, denn man achtet beim Training mehr auf Qualität anstatt Quantität. Aufgrund der Wettkämpfe fährt man da ein wenig runter.
Jasmin: Ich absolviere noch nicht die ganze Anzahl Wiederholungen, da ich erst von einer Verletzung zurückgekommen bin.
Bleibt bei den vielen Trainings noch Zeit für anderes?
Vera: Man muss, was Hobbys, Freizeit und Freunde treffen angeht, schon zurückstecken. Vor allem weil wir häufig weg sind. Momentan sind wir die meiste Zeit in Deutschland unterwegs, weil es in der Schweiz leider keine 400 Meter Eisschnelllaufbahn gibt. Im Sommer haben wir immerhin das Glück, dass wir relativ nah an der Schweizer Grenze sind. So können wir am Wochenende auch mal Freunde treffen. Aufgrund von Corona waren wir in letzter Zeit aber recht abgeschottet und haben uns nur im Team aufgehalten. Wir wussten, es stehen wichtige Wettkämpfe an und deshalb sagte der Trainer zu uns, es sei am Besten, wenn wir die sozialen Kontakte minimierten. Unsere Teamkollegen sind aber auch zu guten Freunden geworden. Die Meisten kennen wir bereits seit 2005. Sie sind auch mit uns vom Inlineskaten zum Eisschnelllauf gewechselt.
Man muss, was Hobbys, Freizeit und Freunde treffen angeht, schon zurück-stecken.
Vera Güntert
Vera und Jasmin, ihr studiert auch noch nebenbei. Wie macht ihr das?
Vera: Ich studiere Rechtswissenschaften an der Fernuni Schweiz. Das Studium ist auf Spitzensportler ausgerichtet und sehr flexibel. Ich kann das Pensum jederzeit reduzieren oder die Ausbildung ganz unterbrechen. Um das Studium abzuschliessen, hat man insgesamt siebeneinhalb Jahre Zeit ? also maximal 15 Semester. Es ist zudem ein Selbststudium und aufgrund von Corona sind sowieso alle Vorlesungen online, das ist für uns sehr praktisch.
Jasmin: Ich studiere Wirtschaft, ebenfalls an der Fernuni und bin mittlerweile im vierten Semester.
Kommen wir auf die WM in Heerenveen (NED) zu sprechen, die im Februar diesen Jahres stattfand. Wie hat es sich angefühlt, beim Massenstartrennen den 12. Platz zu erreichen?
Vera: Es war mega schön! Bei den Vorläufen war es erst einmal mein Ziel, überhaupt ins Finale zu kommen. Dafür müsse ich den sechsten Platz erreichen, meinte mein Trainer. Ich gab beim Rennen also Vollgas und zählte während des Schlusssprints die Personen, die vor mir waren ? eins, zwei, drei, vier, fünf ? oke, es reicht aus, ich bin im Finale. Da war ich schon richtig glücklich. Als es im Finale dann nochmals so gut lief und ich als siebte über die Ziellinie gelaufen bin ? mit den verteilten Punkten ergab das den 12. Schlussrang ? das war schon toll.
Marcel: Es waren 24 Athleten an den Vorläufen am Start und wenn man ins Finale kam, war man bereits unter den besten 16. Das Vera das geschafft hat, war schon super. Und wenn man dann im Finale noch Zwölfte wird ? bei der allerersten WM ? da darf man schon zufrieden sein.
Marcel, wie habt ihr als Familie die WM verfolgt?
Marcel: An der WM waren keine Zuschauer erlaubt. Die «International Skating Union» (ISU) hat die Wettkämpfe aber live auf YouTube übertragen. So haben wir vor dem Fernseher mitgebibbert.
Seid ihr jeweils nervös vor den Rennen?
Vera: Ich bin eigentlich immer nervös, auch wenn es nur ein kleines Rennen ist. Sobald der Startschuss aber fällt, ist die Nervosität weg.
Jasmin: Auch bei kleinen Rennen will man immer schnell laufen, die eigene Zeit verbessern oder möglichst nah dran rankommen.
Vera: Natürlich war beim Weltcup und bei der WM der Druck ein wenig höher. Das liegt auch am Publikum. Dieses war dort zwar nicht live dabei aber es gab trotzdem Kameras, die alles festhielten und übertrugen. Das Publikum macht zwar Druck, ist aber gleichzeitig auch eine Unterstützung. Es wäre sicher mal cool vor 10?000 Zuschauern zu starten, wie es bei der WM eigentlich üblich wäre. Hoffentlich ist das in den nächsten Jahren möglich, wenn sich die Covid-19 Situation beruhigt hat.
Ich bin eigentlich immer nervös, auch wenn es nur ein kleines Rennen ist. Sobald der Startschuss aber fällt, ist die Nervosität weg.
Vera Güntert
Was geht einem während des Rennens durch den Kopf?
Vera: Das kommt ein wenig auf die Disziplin an. Beim Massenstart hat man viel Zeit um nachzudenken, denn dort geht es stark um Taktik. Man muss zuhören, was der Trainer schreit und auf das reagieren, was die Mitstreiterinnen machen. Bei Einzelstreckenrennen bleibt hingegen nicht wirklich Zeit um gross nachzudenken. Klar hat man irgendwelche Gedanken im Kopf, aber das ist meistens nichts Sinnvolles.
Jasmin: Der Trainer sagt einem am Vortag, auf was man achten soll ? zum Beispiel auf das tiefe Laufen oder auf die Schulter in der Kurve. Diese Tipps hat man während des Rennens einfach im Hinterkopf gespeichert.
Wie war es, die WM in Zeiten von Corona zu bestreiten?
Vera: Als die Covid-19 Ansteckungen im Winter wieder angestiegen sind, minimierten wir die Kontakte ausserhalb des Teams. Wir konnten auch nicht zurück in die Schweiz, da es mit der Grenze problematisch wurde. Vor den Weltcups wurden die Massnahmen dann noch strikter und so konnten wir Weihnachten nicht zuhause bei der Familie verbringen. Während des Weltcups und der WM hatten wir dann wöchentliche Corona-Tests und wir Athleten waren in einer «Bubble», hatten also gar keinen Kontakt zu anderen Leuten. Das war eine spannende Erfahrung und man stellte es sich schlimmer vor, als es schliesslich war. Wegen unseren Trainingsaufenthalten in Deutschland waren wir es schon gewohnt, für ein paar Monate nicht Zuhause zu sein. Andere Leute hatten es da schwerer.
Die ISU gab sich ausserdem Mühe, den Aufenthalt während des Weltcups und der WM möglichst angenehm zu gestalten. So haben die Verantwortlichen beispielsweise jedem Athleten ein Foto der eigenen Familie aufs Bett des Hotelzimmers gelegt.
Vor den Weltcups wurden die Massnahmen dann noch strikter und so konnten wir Weihnachten nicht zuhause bei der Familie verbringen.
Vera Güntert
Welches sind die zukünftigen Ziele, die anstehen?
Vera: Das grosse nächste Ziel ist, sich für die Olympischen Spiele in Peking zu qualifizieren. Ich hoffe natürlich, dass diese stattfinden können. Es bleibt mir aber nichts anderes übrig, als mich optimal vorzubereiten und zu schauen, wie sich die Situation entwickelt.
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