Eisschnelllauf
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Hündin Megan und Maria sind unzertrennlich. Foto: Hakan Aki
In einem Lied von Bligg heisst es «Für d'Wält nur öpper, aber für öpper d'Wält». Besser könnten diese Zeilen die Hündin Megan, um die es in dieser Geschichte geht, nicht beschreiben.
Der Raum, den ich betrete, ist lichtdurchflutet und der Jahreszeit entsprechend dekoriert. Auf einer Couch warten Menschen darauf, aufgerufen zu werden. Auf einem lang gezogenen Küchentisch, der mit Holzstühlen umrahmt ist, stehen selbst gemachte Muffins. Eine Wohlfühloase der besonderen Art. Vivienne, die Tochter des Hauses, nimmt mir die Jacke ab und bietet mir ein Glas Wasser an. Wie aus dem Nichts steht plötzlich eine Hündin vor mir, die sich problemlos streicheln lässt.
Als ich damit aufhöre, bekomme ich einen sanften Schlag gegen meinen Handrücken. Sie signalisiert mir: Mach weiter! Auch von der Besitzerin des Baarer Coiffeursalons AMICA, Maria Weber, werde ich freundlich empfangen. Wie eine treue Begleiterin führt mich die Hündin zum Platz und legt sich vor ihre Besitzerin auf den Boden. Mit zittriger Stimme, beginnt Maria ihre Geschichte zu erzählen. Sie sei Spanierin. Ihre Eltern seien seinerzeit zurück in die Heimat. Zu einem ihrer Brüder habe sie seit Jahren keinen Kontakt. Als Familienmensch, der sie sei, habe ihr dieser Umstand jahrelang zu schaffen gemacht. Marias Stimme verstummt und sie beginnt um Luft zu ringen. Die bis dahin ruhig auf dem Boden liegende Hündin springt plötzlich auf. Als wolle sie ihre Besitzerin beruhigen, streckt sie ihr die Schnauze entgegen und lässt sich streicheln. Maria beruhigt sich. Je öfter die Coiffeuse über die Schnauze der Hündin streichelt, desto grösser ist die Last, die von ihr abfällt.
Auch die Hündin merkt das – und zieht sich zufrieden zurück. Maria Weber hat sowohl die Höhen als auch die Tiefen des Lebens erlebt, kam vom Regen in die Traufe. «Ich bin leidenschaftliche Tänzerin gewesen und habe meinen Traum zum Beruf gemacht», setzt die gelernte Coiffeuse und Geschäftsfrau neu an. Maria stand als Tänzerin und Choreografin ein Jahrzehnt auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Neben ihrer Berufung als Tänzerin beziehungsweise Choreografin führte Maria einen angesagten Coiffeursalon in Zug und war auch als Model aktiv. «Ich lief für diverse Labels und war ein international gefragtes Model. Plötzlich holte mich die Realität zurück auf den Boden der Tatsachen zurück. Alles, was ich mir bis dahin erarbeitete, glitt mir aus den Händen.» Maria Weber erzählt, dass ihr regelrecht der Boden unter den Füssen weggezogen wurde. «Meine Ehe ging zu Bruch, ich verlor meinen Coiffeurladen, die Leute, die mir bis gestern noch auf die Schulter klopften und mit mir feierten, drehten mir ihren kalten Rücken zu, sodass ich letztlich gemeinsam mit meiner Tochter Vivienne vor den Trümmern meines Lebens stand.»
Während Maria erzählt, versagt ihr erneut die Stimme und sie bekommt feuchte Augen. Ein lautes Hundegebell schallt durch den Laden und die Hündin meldet sich zu Wort. Dem Tal der Tränen folgte das Burnout und mündete in schweren Depressionen. «Ich verlor meinen Lebensmut, zog mich zurück, verschanzte mich in meinen vier Wänden und verliess nur selten das Bett», fährt Maria Weber fort. Sie sei neun Jahre durch die Hölle gegangen. Während einer Therapiestunde habe ihr der behandelnde Arzt dazu geraten, sich einen Hund anzuschaffen. «Anfangs schob ich den Gedanken weit von mir und konnte mich damit nicht anfreunden. Heute weiss ich, dass meine Hündin Megan neben meiner Tochter und meiner Ersatzmutter, die beste Medizin meines Lebens ist.» Megan habe ihr wieder Leben eingehaucht. Sie habe dafür gesorgt, dass Maria das Tageslicht und die Natur neu für sich entdeckte. «Durch Megan habe ich neuen Lebensmut gefasst, vor fünf Jahren diesen Coffeursalon aus dem Boden gestampft und eröffnet.» Seither sei die Hündin auch für das gesamte Quartier ein Segen.
Durch ihre Krankheit habe Maria gemerkt, welchen Einfluss Tiere auf das Innenleben und die Seele eines Menschen haben können. Durch Megan habe sie nicht nur die Kurve bekommen, sondern auch die Fähigkeit zurückerlangt, auf Menschen zuzugehen und Freundschaften zu schliessen, führt Maria Weber aus.
«Der Coffeursalon ist nicht nur eine Wohlfühloase, sondern auch ein spezielles Therapiezentrum. Die Leute, die hierherkommen, sind alle «Us Mänsch» und haben alle ihr Päckli zu tragen. Ich schenke ihnen allen mein Ohr und höre zu. Megan ihrerseits sorgt für die innere Ruhe, strahlt Geborgenheit aus und fungiert als Seelsorgerin.» Viele sitzen mir gegenüber, schauen mir tief in die Augen. Indirekt jedoch klagen sie von Zeit zu Zeit Megan ihr Leid. In solchen Momenten könne es schon einmal vorkommen, dass Maria Weber ihre Kundinnen plötzlich umarmt und herzt. «Meine Eltern hatten nie genügend Zeit für mich beziehungsweise uns Kinder, da meine Mutter selbst chronisch krank war. Vielleicht ist es meiner Krankheit, sicher aber der fehlenden Zuneigung und meinem unermüdlichen Drang nach Harmonie geschuldet, dass ich vielen Leuten derart begegne.»
Die Menschen, die zu Maria in den Salon kommen, sind überrascht von der Wärme und Herzlichkeit, die ihnen entgegenströmt. «Megan ist für viele im Quartier ein Magnet, der Salon ein zweites Zuhause und zugleich ein Therapiezentrum. «Hier können die Leute ihre Masken fallen lassen, lachen, aber auch ihren Frust und Kummer abladen. Durch meine Erlebnisse versuche ich ihnen ein menschlicher Kummerkasten zu sein», erklärt Maria. Wenn die Menschen im Quartier meine Hündin Megan nicht zu Gesicht bekommen, erhalte ich oftmals sorgenvolle Nachrichten, ob mit dem Vierbeiner alles in Ordnung sei.» Aber nicht nur Liebe bekommt Megan, die Seelsorgerin, zu spüren. «Man hat versucht, sie zu vergiften. Sie wurde auch schon angefahren», bricht es aus Maria heraus. Freunde. Bekannte und Kunden hätten sich zusammengetan, sich auf die Lauer gelegt, um den Übeltäter dingfest zu machen, erzählt sie. Das Zusammengehörigkeitsgefühl im Quartier sei bemerkenswert, gibt sich die gelernte Coiffeuse dankbar. Durch ihre Erlebnisse, aber insbesondere mithilfe ihrer Tochter Vivienne und der Hündin Megan habe Maria Weber gelernt, loszulassen. «Ich habe mich von sämtlichen Menschen, die mir ein Klotz am Bein waren und mich herunterzogen, losgerissen, gelernt Nein zu sagen und musste mir eingestehen, dass es in erster Linie um mich und meine Bedürfnisse geht.»
Tochter Vivienne wünscht ihrer Mutter, dass sie öfter mal auf den Tisch haut und ihre Bedürfnisse und Wünsche klarer kommuniziert. «Ich weiss gar nicht, wann Mama das letzte Mal in den Ferien oder beim Wellnessen war. Zwar haben wir einen Mutter-Tochter-Tag, aber ich würde es begrüssen, wenn Mama sich ausgiebigere Ferien gönnen, dem Alltag entfliehen und so ihre innere Mitte festigen würde.» Ihre Mutter habe grosse Fortschritte gemacht, erzählt mir die 20-jährige, die im Salon ihrer Mutter arbeitet und ebenso wie sie eine künstlerische Karriere anstrebt. Auf die Frage, was für Fortschritte das sind, antwortet Vivienne: «Mama steht dank des Salons wieder auf eigenen Füssen. Hin und wieder wird sie als Ladymodel gebucht und kann ihrer Leidenschaft nachgehen. Was sich verändert hat, ist, dass Mama das Modeln als Job sieht und gelernt hat, die Branche als solche distanziert zu betrachten.» Auch offen über ihre Krankheit zu reden ist eine Stärke, vor der Freunde und Bekannte den Hut ziehen. «Ich lebe seit 14 Jahren mit der chronischen Krankheit, habe gute, aber auch schlechte Zeiten. Es ist mir wichtig, mich mitzuteilen und offen darüber zu reden. Meine Hündin Megan hat mich aus meiner Einsamkeit gerettet und ich möchte den Menschen signalisieren, dass Depression kein Tabuthema ist und sie ermutigen darüber zu reden.» Ihren Coiffeursalon sieht Maria Weber auch als einen «geschützten Raum», in dem das möglich sei.
Am 15. Dezember planen Maria und Vivienne Weber eine Weihnachtsfeier der besonderen Art. «Wir laden alle Freunde, Bekannte, Kundinnen, Geschäftspartner, aber auch uns bisher unbekannte Menschen herzlich zum gemeinsamen Feiern ein», sagt Vivienne. Auf diese Art wollen sich die beiden bei ihren Wegbegleitern bedanken und Menschen, welche die Feiertage üblicherweise alleine verbringen, einen Ort der Geborgenheit und des Miteinanders bieten. «Durch meine Krankheit, aber auch währen der Pandemie habe ich erfahren, was Einsamkeit bedeutet und wie sie Menschen verändern kann. Ich möchte etwas zurückgeben und ein Zeichen setzen», begründet Maria die Aktion. Im Laufe des Gesprächs hat sich die Hündin zurückgezogen und die Rollen getauscht. «Aus der Beschützerin Megan ist die Hündin Megan geworden», erklärt Maria mit leuchtenden Augen.
Hakan Aki
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