Stadt Zug
Cyrill Lim ist neues Mitglied der Kulturkommission
Täglich rückt die Polizei im Kanton Zug mehrmals wegen Meldungen von häuslicher Gewalt aus. Doch nur ein kleiner Teil davon führt tatsächlich zur Anzeige.
Gewalt Die neusten Statistiken der Zuger Polizei haben gezeigt, dass in den vergangenen Jahren die Kriminaldelikte zurück gegangen sind. Trotzdem sind häusliche Gewalt und Sexualdelikte immer noch tagtäglich, doch viele davon werden nicht zur Anzeige gebracht.
Nachdem 2018 ein Anstieg der Kriminaldelikte zu verzeichnen war, ist diese Zahl nun wieder gesunken. Die Straftaten bezüglich Leib und Leben beliefen sich im Vorjahr noch auf 335 Fälle, vergangenes Jahr sanken sie auf 313 Fälle. 94 Prozent aller Delikte konnten aufgeklärt werden. Somit liegt die Aufklärungsquote der Zuger Polizei über dem gesamtschweizerischen Durchschnittswert von 87.3 Prozent. Auch Verletzungen bezüglich der sexuellen Integrität gingen um acht Fälle auf insgesamt 91 Delikte zurück. Dort konnte die Zuger Polizei 77 Prozent aufklären. Besonders auffällig waren aber die Zahlen bei den Fällen von häuslicher Gewalt. Über das ganze Jahr verteilt beschäftigte sich die Zuger Polizei mit 404 Einsätzen in diesem Bereich. Doch nur 154 Fälle hatten eine Strafanzeige zur Folge. Das entspricht einem Verzicht von 62 Prozent.
Trotz rückläufiger Zahlen hinsichtlich Häuslicher Gewalt wird ab dem 1. April die betreffende Fachstelle personell aufgestockt. Somit kann das Phänomen vertiefter und detaillierter untersucht werden. Auch in der jetzigen Situation mit der Quarantäne könnte es wieder vermehrt zu Übergriffen in den eigenen vier Wänden kommen. Doch weshalb verzichten die Opfer auf eine Anzeige oder ziehen diese wieder zurück? Viele sind ungenügend über das Rechtssystem und Opferhilfe aufgeklärt. Für Verwirrung sorgen beispielsweise die beiden Bezeichnungen Strafanzeige und Strafantrag. Die Anzeige ist eine Meldung über einen möglicherweise relevanten Sachverhalt. Der Strafantrag hingegen das feste Verlangen, strafrechtliche Verfolgung gegen eine Tat einzuleiten. Besagte Opferhilfen klären über die weiteren möglichen Verfahren auf.
In den Beratungsstellen werden grundlegende Fakten und Rechte erklärt, um das passende Vorgehen für die Betroffenen zu wählen. Den Opfern von Straftaten werden gemäss des Opferhilfegesetzes (OHG) gewisse Rechte zugesprochen. So Beratung, Schutz und Wahrung von Rechten im Strafverfahren, sowie finanzielle Entschädigung und Genugtuung. Auch Angehörige haben Anspruch auf Opferhilfe. Diese umfasst sowohl Soforthilfe als auch längerfristige Beratungen. Zudem sind Entschädigung, Befreiung von Verfahrenskosten und Kostenbeiträge für längerfristige Hilfe mit diesem Gesetz gewährleistet.
Auch in Zug gibt es Anlaufstellen; sowohl für Opfer als auch für Täter. Häusliche Gewalt ist oft sehr komplex, da die Grenzen zwischen Täter und Opfer häufig verschwimmen. Gespräche mit einem Opfer- und einem Gewaltberater gaben über genannte Grauzone Aufschluss. Im eff-zett, der Opferberatung für Straftaten und Sexualdelikte in Zug arbeitet Markus Noser. Er ist Leiter der Abteilung Beratung und Prävention. In seiner Arbeit als Opferberater klärt er täglich über die Verfahren von Strafverfolgungen auf, bietet den Betroffenen Soforthilfe und zeigt ihnen ihre Rechte auf.
Häufig gilt es, eine Schamgrenze zu überwinden, um zur Therapie zu erscheinen. «Das Wort 'Opfer' wird oft als Schimpfwort benutzt und mit der Vorstellung verbunden, keine Freunde zu haben. Niemand will Opfer sein», erklärt Noser. Daher möchten Betroffene anfänglich oft keine Hilfe beanspruchen. Der Öffentlichkeit sei nicht bewusst, was Opferberatung exakt bedeutet. Das «Trösten» ist nur ein kleiner Teil davon. Die Beratung zielt darauf ab, auf die Wünsche des Opfers einzugehen und ihm eine reflektierte Einschätzung zu verschaffen. Damit soll zu dem Selbstvertrauen verholfen werden, das benötigt wird, um das weitere Vorgehen zu bestimmen.
Ein guter Ratschlag der Berater nützt nichts, wenn sich die Opfer diesen nicht zutrauen. Die Leidtragenden suchen die Schuld oft bei sich selbst, doch was hinter verschlossenen Türen geschieht, wissen nur die Betroffenen. Eine eindeutige Schuldzuweisung ist daher nicht sehr hilfreich. Es kann durchaus sein, dass bei häuslicher Gewalt beide Parteien Anspruch auf eine Beratung gemäss OHG haben. Deshalb ist bei jedem Fall eine differenzierte Betrachtung wichtig.
In der Männer Beratung Gewalt (MBG) geht es in erster Linie um Opferschutz. Mit einem offenen Ohr für die Täter sollen weitere Gewaltdelikte vermindert oder gar verhindert werden. Fehlende Kommunikation ist vielfach einer der Gründe, weshalb in den eigenen vier Wänden die Fetzen fliegen. Die Männer sollen bei der Beratung lernen, ihr Verhalten in andere Bahnen zu lenken und ihre Aggressionen in den Griff zu bekommen. Urs Zehnder fungiert als gemeinnütziger Gewaltberater im MBG. Im Gespräch mit ihm betonte er, dass Gewaltberater keine Richter seien und sich nicht anmassen, Urteile zu fällen.
Die meisten Männer, die zu Urs Zehnder in die Beratung kommen, werden aufgrund eines gerichtlichen Urteils geschickt oder erscheinen wegen eines Ultimatums der Angehörigen. Jedoch selten freiwillig. Viele, die ohne gerichtliches Urteil im MBG erscheinen, kommen meist erst spät, nachdem sich bereits einige Vorfälle von häuslicher Gewalt zugetragen haben. Wie bei den Opfern gilt es auch bei den Tätern, die Schamgrenze zu überwinden.
Gefühle zeigen oftmals nicht einfach. So geschieht es, dass Wut und Hass das eigentliche Problem dahinter verbergen Angst und Einsamkeit. «Eigentlich sind die Männer gekränkt, aber statt diese Kränkung zu zeigen, werden sie aggressiv. Es hat aber eigentlich immer mit Gefühlen zu tun. Dann geht es darum, diese Muster herauszufinden und mit Einfühlungsvermögen und Verständnis vorzugehen», so Zehnder. Frauen haben oftmals bessere Sozialkontakte, um Probleme auszutauschen. Bei männlichen Freundschaften werden diese meist nicht thematisiert. Die Beratungsstelle wird daher, sobald die Täter sich öffnen, sehr geschätzt. Die Gespräche stehen unter Berufsgeheimnis. Das sei wichtig, um eine solide Vertrauensbasis zu schaffen, erzählt Zehnder. «Wenn man sich die Geschichten genau anhört, merkt man, dass die Grenzen rasch fliessend werden. Vielfach neigen die Täter aber auch dazu, die Verantwortung abzuschieben. Im Bearbeitungsprozess versuchen wir, beim Täter eine bessere Selbstreflexion zu erreichen und ihm die Eigenverantwortung für sein Handeln aufzuzeigen.» So soll verdeutlicht werden, dass es trotz allfälliger Gründe keine Rechtfertigung für häusliche Gewalt gibt. Menschen, die sich querstellen, mit der Gewaltberatung zu arbeiten, werden wieder zum Gericht oder zur Polizei zurückgeschickt. Das komme allerdings selten vor.
Die Arbeit von Urs Zehnder und Markus Noser setzt tiefes Verständnis und die Fähigkeit, Dinge auch in einem anderen Licht zu sehen, voraus. Damit stehen sie täglich uneigennützig Menschen in verschiedenen Lebensabschnitten bei, und gehen in komplexen Situationen subtil mit den Betroffenen um. Beiden ist es wichtig, auf die Beratungsstellen aufmerksam zu machen. Dafür fanden im vergangenen Jahr auch Sensibilisierungskampagnen und Informationsveranstaltungen statt. Durch die Komplexität häuslicher Gewalt kann selten eine eindeutige Schuldzuweisung vollzogen werden. An dieser Stelle ist es auch wichtig zu betonen, sich nicht schämen zu müssen, Hilfe aufzusuchen.
Von Nadja Kuster
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