Stadt Zug
Cyrill Lim ist neues Mitglied der Kulturkommission
Reto Knutti kontert Behauptungen mit überprüfbaren Fakten.
Bild: René Ruis
Klimaforscher Reto Knutti widerspricht Argumenten von so genannten Klimaleugnern, ist aber offen für eine wissenschaftlichen Diskussion.
Herr Knutti, können wir die hoch gesteckten Klimaziele überhaupt erreichen?
Ob wir es schaffen oder nicht, hängt von drei verschiedenen Faktoren ab: Ist es technisch machbar? Ist es bezahlbar? Und haben wir den gesellschaftlichen Willen? Zu den ersten beiden Fragen ist die Antwort klar ja. Die Frage nach dem gesellschaftlichen Willen hätte ich bis vor einem Jahr mit nein beantwortet. Doch seither ist viel in der öffentlichen Diskussion passiert.
Die Klimajugend will bis 2030 CO2-neutral sein, der Bund bis 2050. Was ist realistisch?
Unsere Berechnungen zeigen, dass die Welt spätestens 2050 CO2-neutral sein muss. Wenn das Ziel, deutlich unter zwei Grad Erwärmung zu bleiben, wie es das Pariser Klimaabkommen formuliert, noch erreicht werden soll. Jetzt kann man diskutieren, was das für die Schweiz bedeutet: Kann sich die Schweiz länger Zeit lassen, weil sie so klein ist? Oder müssen wir noch schneller sein, weil wir so reich sind? Das ist keine wissenschaftliche Frage mehr, sondern eine politische. 2030 kann man erreichen mit Kompensation im Ausland. Ohne Kompensation ist es extrem schwierig. In den nächsten 10 Jahren müsste jede Heizung, jedes Auto und die Emissionen der Landwirtschaft CO2-neutral sein. Das ist fast nicht zu schaffen. Natürlich sollten wir alles probieren, was wir können. Aber wir müssen auch realistisch sein. In fünf Jahren erreichen wir höchstens ein neues Gesetz.
Kritiker sagen, dass die Massnahmen der kleinen Schweiz sowieso nichts bringen werden.
Natürlich wird der Effekt unserer Massnahmen auf das globale Klima verschwindend klein sein, wenn alle anderen nichts machen. Aber diese Logik ist so plump. Mit derselben Argumentation muss ich auch keine Steuern zahlen, weil mein Beitrag im Vergleich zu den gesamten Steuereinnahmen in der Schweiz verschwindend klein ist. Wenn man ein gemeinsames Ziel hat, muss jeder seinen Beitrag leisten. Es darf keine Trittbrettfahrer geben.
Dann soll die Schweiz ihre Emissionen reduzieren, während andere Länder ihren Fussabdruck noch vergrössern werden?
Natürlich, ja. Ein Land, das keine Strassen und keinen Strom und keine Spitäler hat, wird seine Emissionen nicht so einfach reduzieren können. Alle Berechnungen gehen genau davon aus. Aber die gesamte westliche Welt kann die Emissionen jetzt schon senken. Natürlich muss man sicherstellen, dass andere Länder nicht dieselben Fehler machen wie wir.
Es gibt immer wieder Wissenschaftler, die aussagen, dass der Klimawandel nicht menschengemacht sein soll.
Man muss sich anschauen, was das genau für Leute sind. Das ist alles Mögliche darunter: aus der Ökonomie, Medizin, Politologie. Die wenigsten haben eine fachliche Ausbildung in Klimaforschung oder haben aktiv auf diesem Gebiet geforscht. Es ist also fragwürdig, wieviel wert diese Meinungen sind. Wenn ich einen Herzfehler habe, frage ich ja auch nicht den Zahnarzt um Rat.
Man spricht immer von 97 Prozent der Wissenschaftler, die der Aussage zustimmen, dass der Klimawandel menschengemacht ist.
Ich finde das kein besonders gutes Argument. Wenn in der Wissenschaft eine einzige Person ein gutes Argument hat, das sich als richtig herausstellt, reicht das. Es hat auch schon mal einer als einziger gesagt, die Erde sei nicht der Mittelpunkt des Sonnensystems – und behielt recht damit. Aber beim Klimawandel müssen wir schon sehen: Mittlerweile gibt es über 250 000 Studien dazu. Und praktisch alle sagen dasselbe. Da reicht es nicht mehr, wenn einer ein kleines Gegenargument bringt. Er müsste schon erklären können, warum die Hunderttausenden von Studien nicht stimmen sollen.
Hört der Wissenschaftsbetrieb überhaupt auf Gegenstimmen?
Natürlich. Der Schweizerische Nationalfonds zum Beispiel fördert jegliche Grundlagenforschung – unabhängig davon, was das Resultat ist oder sein wird.
Sie sprechen von den «fünf Stufen der Verneinung» in Bezug auf den Klimawandel. Was meinen Sie damit?
Es ist ein Muster, das sich bei vielen Klimawandel-Kritikern abspielt. Die erste Stufe ist Verneinung: Es gibt den Klimawandel gar nicht. Wenn das nicht funktioniert, sagen sie: Aber ich bin nicht schuld daran. Drittens: Es ist nicht so schlimm. Viertens: Aber andere Dinge sind doch wichtiger. Und fünftens: Es ist sowieso verloren. Das sind natürliche psychologische Prozesse, die auch in anderen Bereichen so ablaufen. Man spricht von kognitiver Dissonanz: Man sucht automatisch Gegenargumente gegen etwas, das nicht ins persönliche Weltbild passt.
Reto Knutti ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich
Beat Glogger
Produced by: higgs.ch – Das Magazin für alle, die es wissen wollen.
Supportet by: WISSENSCHAFT. BEWEGEN. Gebert Rüf Stiftung.
Lade Fotos..