Stadt Zug
Cyrill Lim ist neues Mitglied der Kulturkommission
Erst wenn 95 Prozent geimpft sind, ist die Bevölkerung gegen Masern geschützt. Bild: iStock
Nach einem dramatischen Anstieg von Masern-Infektionen werden Rufe nach obligatorischen Impfungen laut. Doch die Massnahme ist politisch umstritten – und auch wissenschaftlich nicht über alle Zweifel erhaben.
Die Masern sind zurück. Seit Anfang Jahr wurden in der Schweiz bereits 166 Fälle registriert, das sind fast achtmal mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Zwei Männer im Alter von rund 30 und 70 Jahren sind an der hoch ansteckenden Krankheit gestorben. Es sind die ersten Masern-Toten seit zehn Jahren in der Schweiz.
Nun werden Rufe nach einer staatlichen Impfpflicht laut. «Wer seine Kinder nicht impft, ist asozial», sagte CVP-Nationalrätin Ruth Humbel zum Blick. Der Bund solle ein Impfzwang mit Bussensystem prüfen.
Doch ein solcher dürfte in der Schweiz zurzeit keine grossen Chancen haben. Wie eine Umfrage des Magazins «higgs» im National- und Ständerat zeigt, herrscht keine Einigkeit – weder im Parlament noch innerhalb der Parteien. Rund 45 Mitglieder des Parlaments haben auf die E-Mail-Umfrage von «higgs» geantwortet.
Bei der SP halten sich Befürworter und Gegner einer Impfpflicht die Waage. Die bürgerlichen Politiker sprechen sich hingegen mehrheitlich gegen eine Pflicht aus. Aber auch unter den Befürwortern finden sich Vertreter der CVP, FDP, BDP und SVP. So schreibt SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr: «Die Sicherheit aller Personen im Land steht im Zentrum. Eine Impfung kann doppelt Leben retten.»
Was auffällt: Parlamentarier aus der Romandie äussern sich vorwiegend positiv über ein Obligatorium. Das deckt sich mit der Einstellung der Bevölkerung: Laut einer Studie des Pharmakonzerns Pfizer befürworten 61 Prozent der Romands einen Impfzwang für gefährliche Kinderkrankheiten – in der Deutschschweiz sind es nur 19 Prozent.
Ein genereller Impfzwang sei nicht der richtige Weg, findet Arnaud Chiolero, Professor für Öffentliche Gesundheit an der Universität Bern: «Bei einem dramatischen Anstieg von Infektionen kann eine solche Massnahme zwar gerechtfertigt sein», sagt der Epidemiologe. «Aber das ist in der Schweiz zurzeit nicht der Fall.»
Von einer Ausrottung der Masern, die das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zum Ziel erklärt hat, ist die Schweiz dennoch weit entfernt. Dazu müssten mindestens 95 Prozent der Kinder sowie alle nach 1963 geborenen Erwachsenen mit zwei Dosen geimpft werden. Im Moment sind das nur 89 Prozent der zweijährigen Kinder.
Vom BAG veröffentlichte und von der «SonntagsZeitung» ausgewertete Zahlen zeigen: In bestimmten Regionen gab es in den letzten 30 Jahren besonders viele Masern-Ausbrüche: Etwa im Entlebuch im Kanton Luzern, im Kanton Appenzell Innerrhoden und im Bezirk Dornek im Kanton Solothurn.
Im Kanton Luzern hatten im Jahr 2016 rund 89 Prozent der 16-Jährigen die nötigen beiden Masern-Impfungen. Er fällt damit im Vergleich zu anderen deutschschweizer Kantonen nicht besonders ab.
Dennoch stellt sich die Frage: Müsste man Gebiete wie das Entlebuch speziell in die Pflicht nehmen, um die Masern endgültig loszuwerden? Laut Epidemiegesetz können Kantone Impfungen für bestimmte Personengruppen für obligatorsch erklären, sofern eine «erhebliche Gefahr» besteht.
Dazu sagt Luzerner Kantonsarzt Roger Harstall: «Ein Obligatorium kann nur in klar definierten Ausnahmefällen für eine klar definierte Gruppe ausgesprochen werden.» Diese Situation sei nicht gegeben. Harstall spricht sich gegen einen Zwang aus.
Der Kantonsarzt spricht ein grundsätzliches Problem an: «Da die Schweizer Bevölkerung eine hohe Mobilität aufweist, wären kantonale Alleingänge nicht zielführend.» Ein allgemeines Obligatorium müsste auf Bundesebene diskutiert werden.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie gut eine Impfpflicht überhaupt wirkt. Der Grünen-Nationalrat Michael Töngi ist überzeugt: «Ein Impfobligatorium in der vorhandenen Situation könnte auch dazu führen, dass Eltern mit ihrem Kind einfach nicht mehr zum Arzt gehen.»
In 12 EU-Ländern werden Impfungen bereits staatlich verordnet. Eine von der EU finanzierte Studie konnte aber keinen positiven Zusammenhang zwischen Impfpflicht und Impfraten ausmachen. Ein Obligatorium kann sogar das Misstrauen stärken: Bürger aus Bulgarien, Lettland und Frankreich äusserten sich besonders skeptisch darüber, ob Impfungen wirken – in allen drei Ländern gibt es eine gesetzliche Impfpflicht.
Viele der Schweizer Politiker fordern denn auch Aufklärung statt Zwang. So zum Beispiel SP-Nationalrätin Bea Heim, die bei den Behörden ein ernstes Versäumnis ortet: «Sie haben zu lange zu wenig informiert und damit das mediale Feld den Impfgegnern überlassen, die sehr aktiv sind.»
Roman Rey
Produced by: higgs.ch – Das Magazin für alle, die es wissen wollen.
Supportet by: WISSENSCHAFT. BEWEGEN. Gebert Rüf Stiftung.
Lade Fotos..