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Sucht eine neue Herausforderung: Oberrichter Felix Ulrich. Foto: zvg
Geboren am 23. April 1963 in Cham, ist Felix Ulrich als zweitältester von sechs Brüdern auf dem elterlichen Bauernhof in Hünenberg aufgewachsen. Nach der Matura 1982 in Zug hat er an der Uni Fribourg studiert und lebt heute in Unterägeri.
Im Juli dieses Jahres haben Sie Ihren Rücktritt als Zuger Obergerichtspräsident per Ende August 2022 erklärt, weil nach 30?Jahren im Dienst der Zuger Bevölkerung Zeit für eine Veränderung sei. Es ist davon auszugehen, dass die Vereinigte Bundesversammlung Sie nun als Richter an das Bundesstrafgericht in Bellinzona wählen wird. Weshalb nehmen Sie diese Herausforderung an? Was reizt Sie am neuen Richteramt?
Das Amt als Präsident des Obergerichts ist abwechslungsreich, spannend und verantwortungsvoll. Obwohl ich es mit viel Freude und auch mit Stolz ausübe, wollte ich dies nicht bis zum Ende des Erwerbslebens tun, sondern nochmals etwas Neues anfangen. Vorerst hatte ich anderes im Fokus. Die Chance, nun auf eidgenössischer Ebene ein Richteramt ausüben zu dürfen, hätte für mich einen besonderen Reiz.
Was würde die Berufung ans Bundesstrafgericht privat für Sie bedeuten? Werden Sie bald Wochenaufenthalter im Tessin? Oder zügelt Ihre Familie nach Bellinzona?
Tatsächlich habe ich meine Bewerbung für dieses Amt am Bundesstrafgericht mit meiner Frau und der Familie abgesprochen, da es für die ganze Familie mit gewissen Veränderungen verbunden wäre. Es ist vorgesehen, dass ich mich als Wochenaufenthalter in Bellinzona aufhalten würde; das Zentrum der Familie bliebe aber in der Zentralschweiz.
Was haben Ihre Aufgaben als Kantonsrichter in Zug beinhaltet, wo Sie von 1999 bis Ende 2006 zuerst der handelsrechtlichen Abteilung angehört und verschiedene Einzelrichterfunktionen wahrgenommen haben?
In der sogenannten handelsrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts beurteilten wir im Dreiergremium diverse Forderungsklagen unter anderem aus den Bereichen des Gesellschafts- und Handelsrechts, so z.B. Verantwortlichkeitsansprüche gegen Verwaltungsräte, handelsrechtliche und andere vertragsrechtliche Streitigkeiten. Das Einzelrichterpensum umfasste diverse Forderungsstreitigkeiten mit kleineren Streitwerten; zudem war ich Einzelrichter in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen.
Nach Ihrer Wahl ans Zuger Obergericht haben Sie den Vorsitz in der Strafabteilung übernommen. Inwiefern hat Sie dieser Wechsel vom Handels- zum Strafrecht persönlich geprägt? Was unterscheidet den Handels- vom Strafrichter Felix Ulrich?
Der Wechsel vom Kantonsgericht in die strafrechtliche Abteilung des Obergerichts war für mich mit einigen Veränderungen verbunden. Ich durfte mich als Richter mit einem neuen Sachgebiet ? eben dem Strafrecht ? beschäftigen. Inhaltlich reichte die Palette von Strassenverkehrsdelikten über Sexual-, Körperverletzungs- und Tötungsdelikte bis hin zu grossen Wirtschaftskriminalfällen. Letztere sind quasi eine Kehrseite der Medaille des Wirtschaftsstandortes Zug. Insbesondere die schweren Sexual-, Körperverletzungs- und Tötungsdelikte haben mich betroffen gemacht. Doch auch in solchen Fällen gilt es selbstverständlich, ein rechtsstaatliches und faires Verfahren zu gewährleisten. Ob mich dieser Wechsel persönlich geprägt hat, ist schwierig zu beantworten. Auf jeden Fall war es eine Horizonterweiterung.
Ihrem Demissionsschreiben als Zuger Obergerichtspräsident vom Sommer 2021 ist zu entnehmen, dass Sie ursprünglich vorhatten, nur für kurze Zeit in der Justiz tätig zu sein beziehungsweise als selbstständiger Anwalt Ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Was hat Sie in den vergangenen 30?Jahren als Staatsangestellter derart fasziniert, dass Sie stets als Richter gearbeitet haben ? und dies wohl auch in Zukunft noch etwas länger tun werden?
In der Zuger Justiz durfte ich eine wunderbare Laufbahn machen und immer wieder neue Aufgaben wahrnehmen und mich neuen Herausforderungen stellen. Die Justiz im Kanton Zug funktioniert gut, was für die Qualität des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft und auch für den Wirtschaftsstandort von grosser Bedeutung ist. Die Justiz ist eine tragende Säule unseres Rechtsstaates und ich bin stolz, in der Justiz tätig sein zu dürfen.
Können Sie uns einmal generell schildern, wie ein Gericht in einer nicht-öffentlichen Verhandlung zum einem Entscheid kommt? Passiert dies in der Regel auf dem Korrespondenzweg?
Die Gerichtsverhandlungen sind grundsätzlich öffentlich. Nicht öffentlich sind die Urteilsberatungen. Nach dem Studium der Verfahrensakten und ? je nach Verfahren nach einer Haupt- bzw. Berufungsverhandlung ? trifft sich das Richtergremium zu einer Urteilsberatung, in welcher das Urteil aufgrund eines Vorschlages der fallführenden Richterin bzw. des fallführenden Richters beraten wird. Die Richterinnen und Richter sitzen also zusammen und diskutieren; der «Korrespondenzweg», sogenannte Zirkularentscheide, bilden die absolute Ausnahme.
Ein Wort zur Bundesanwaltschaft: Welche Funktion hat sie mit Bezug auf das Bundesstrafgericht? Wie arbeiten die beiden Instanzen zusammen? Weshalb hat sie in den letzten Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt? ? Und was hat sich in der Zwischenzeit bei der Bundesanwaltschaft strukturell gebessert?
Die Bundesanwaltschaft ist die Anklagebehörde des Bundes. Ihre Funktion ist vergleichbar mit derjenigen, welche unsere Staatsanwaltschaft im Kanton Zug wahrnimmt. Die Bundesanwaltschaft kam im Zusammenhang mit nicht protokollierten Treffen des ehemaligen Bundesanwalts in die Schlagzeilen. Die Bundesversammlung hat einen neuen Bundesanwalt gewählt, der sein Amt angetreten hat. Was sich in der Zwischenzeit bei der Bundesanwaltschaft strukturell gebessert hat, kann ich nicht beurteilen.
Sie sind für die Beschwerdekammer am Bundesstrafgericht vorgesehen. Wer kann die Beschwerden gegen Verfahrenshandlungen der Polizei, der Bundesanwaltschaft, gegen Entscheide der eigenen Strafkammer und des Zwangsmassnahmengerichts einreichen? Was sind die Bedingungen für solche Beschwerden?
Die sogenannte Beschwerdelegitimation richtet sich ? wie bei der Beschwerdeabteilung des Obergerichts ? nach der schweizerischen Strafprozessordnung. Danach ist jede Partei oder jeder andere Verfahrensbeteiligte zur Beschwerde berechtigt, welche oder welcher ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides hat. In der Regel sind es die Beschuldigten, aber auch Geschädigte, welche sich als sogenannte Privatkläger am Verfahren beteiligen.
Wie unterscheiden sich Berufungskammer und Beschwerdekammer voneinander?
Die Berufungskammer nahm am 1.?Januar 2019 ihre Tätigkeit auf. Sie entscheidet als zweite Instanz in Bundesstrafsachen über Berufungen gegen Urteile der Strafkammer, welche das Verfahren ganz oder teilweise abschliessen. Ausserdem entscheidet sie über Revisionsgesuche gegen rechtskräftige Urteile der Strafkammer, Strafbefehle der Bundesanwaltschaft, nachträgliche richterliche Entscheide und Entscheide im selbstständigen Massnahmenverfahren.
Welches werden die Unterschiede zwischen Ihrer aktuellen Tätigkeit als Zuger Obergerichtspräsident und wohl zukünftiger Richter am Bundesstrafgericht sein?
Als Präsident des Obergerichts Zug umfasst der Aufgabenbereich neben der Rechtsprechungs- und Aufsichtstätigkeit auch Aufgaben in den Bereichen Justizmanagement, Personalführung, Gesetzgebung und der Vertretung der Justiz nach aussen. Als Richter am Bundesstrafgericht würde ich mich wieder vermehrt auf meine Kernkompetenzen als Richter konzentrieren können, nämlich auf die Verfahrensführung und die Redaktion von Urteilen.
Einmal gewählt ? für wie lange wären Sie dann Richter? Wie lange haben Sie vor, Ihr Amt ausüben?
Die Richterinnen und Richter am Bundesstrafgericht werden für eine Amtsdauer von sechs Jahren gewählt; die nächste Amtsperiode dauert von 2022 ? 2027. Ich hätte schon im Sinn, das Amt in dieser Zeit auszuüben. Was danach sein wird, ist noch offen.
Roger Weill
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