Stadt Zug
Cyrill Lim ist neues Mitglied der Kulturkommission
Der Informationskrieg hat sich mittlerweile beinahe zur Absurdität und ins Unvorstellbare gesteigert, sagt die Expertin Eva Binder. Bildquelle: Unsplash / MK Hamilton
Parallel zur Invasion in der Ukraine spielt sich ein beispielloser Informationskrieg ab. Im Interview erklärt Eva Binder, Expertin für russische Kultur und Medien, wie sich dieses von Russland seit Jahren bekannte Mittel der Kriegsführung verändert hat.
Frau Binder, wie neutral ist unsere Berichterstattung im Ukraine-Krieg?
Sie ist sehr vielfältig und damit wesentlich besser als das, was Konsumierende russischer Medien derzeit bekommen. Natürlich müssen wir bedenken, dass es in einem Krieg wie diesem von beiden Seiten Falschdarstellungen gibt. Auch die Meldungen aus der Ukraine sind kritisch zu sehen. Aber wenn es darum geht, Fakten zu erfahren und Quellen zu überprüfen, dann funktionieren westliche Medien schon ganz anderes als russische. Denn in den offiziellen russischen Medien wird nichts überprüft.
Die russischen Medien können also sagen, was sie möchten?
Genau. Das hat sich extrem verschärft und mittlerweile sogar einen Punkt erreicht, wo man sagen muss: Alles, was in den offiziellen russischen Medien in Bezug auf den Krieg in der Ukraine berichtet wird, entspricht nicht dem, was tatsächlich passiert oder anders gesagt: ist von vorne bis hinten gelogen. Was das Wissen um die Geschehnisse in der Ukraine in Europa und in Russland anbelangt gibt es damit zwei vollkommen verschiedene Wirklichkeiten. Das einzig Positive daran: Es gab in unseren Medien noch nie so viel Diskussion darüber, wie die Medien in Russland funktionieren.
Diese Art der psychologischen Kriegsführung, den Informationskrieg, führt Russland ja bereits seit mehreren Jahren. Sind das noch die gleichen Strategien wie damals?
Ja, aktuell hat es sich aber beinahe zur Absurdität und ins Unvorstellbare gesteigert. Konkret heisst das: Druck auf unabhängige Berichterstattung, die Schliessung von Webseiten, eine unglaubliche Emotionalisierung der Berichterstattung, also das Arbeiten mit der Angst der Menschen, mit Aggression und vor allem natürlich mit Falschinformationen. Ein wichtiger Teil dieses Propagandainstrumentariums ist die sogenannte Troll-Fabrik. Das sind Menschen, die dafür bezahlt werden, pro-russische Kommentare in westlichen Online-Foren und für die Kommentarbereiche von Nachrichten-Seiten zu verfassen, von Beschimpfungen über Behauptungen zu Falschnachrichten und Gerüchten. Die Lage hat sich seit Kriegsbeginn zugespitzt – gibt es noch unabhängige Medien in Russland? Nicht mehr viele, nein. Der Radiosender Echo Moskwy etwa wurde eine Woche nach Kriegsbeginn abgeschaltet, die Webseite vom Netz genommen. Gleiches gilt für den Internet-Fernsehsender Doschd. Es gibt aber natürlich noch Kanäle, die sie bespielen. Zu Doschd gehört die Internet-Zeitung Republic, die vor allem kommentierende Analysen zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verfassen. Die haben eine ganze schlaue Strategie und publizieren umfassende Artikel zur russischen und sowjetischen Geschichte, beispielsweise über russische Zaren. Über Nikolaus II. kann man nachlesen, dass er geglaubt hat, er hätte das Volk hinter sich und dann im Jahr 1917 bitter enttäuscht wurde. Oder über Paul I. und wie er 1801 von Verschwörern ermordet wurde. Das lässt sich alles so wunderbar auf die heutige Zeit lesen.
Die breite Bevölkerung in Russland wird das aber kaum erreichen.
An die breite Bevölkerung richten sich diese alternativen Medien alle nicht, das muss man leider sagen. Das trifft aber auch auf Qualitätsmedien in anderen Ländern zu. In Russland kommt nun aber hinzu, dass es ein gewisses technisches Knowhow erfordert, um die Sperren etwa über einen VPN-Zugang zu umgehen. Und auch eine Entschlossenheit, eine andere Berichterstattung nachzuvollziehen. Doch selbst wenn diese alternativen Medien leicht zugänglich wären, glaube ich, dass sich jene Menschen nur sehr schwer davon überzeugen lassen würden, die das glauben, was offiziell über das russische Fernsehen berichtet wird.
Wie kann man hier gegensteuern?
Es braucht eine Unterstützung dieser russischsprachigen Medien. Doch was genau und wie viel wir tun müssen, um die russischsprachige Bevölkerung zu erreichen, ist eine schwierige Frage. Es ist aber die falsche Strategie, Menschen in Russland von unseren Informationen abzuschneiden. Genau das passiert nun aber zum Teil durch die Sanktionen. Die Sanktionen sind ein zweischneidiges Schwert, denn dadurch werden auch diejenigen, die gegen die Macht in Russland sind, von der westlichen Welt isoliert. Eigentlich müsste man das Gegenteil tun, also versuchen, Fakten in Russland besser zu verbreiten.
Felicitas Erzinger
Produced by: higgs.ch – Du willst es wissen!
Lade Fotos..