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Vögel sind in der heimischen Tierwelt gut erforscht, es Mangelt hingegen an Fachleuten für Moose und Flechten.Bildquelle: Pixabay/Jukka Virtamo
Christina Rutte, Leiterin der Plattform Biologie der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz, warnt vor einem Mangel an Fachleuten für die Artenbestimmung.
Frau Rutte, sie sagen, es fehlt an Fachleuten für die Bestimmung einheimischer Arten. Seit wann zeichnet sich dieser Mangel ab?
Schon seit Längerem – das ist kein Problem, das plötzlich aufgetaucht ist. Die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz hat schon 2007 auf diesen Mangel hingewiesen und ein Faktenblatt zur Zukunft der Systematik – also der Einteilung von Lebewesen – in der Schweiz veröffentlicht. Darin wurde bereits auf die Krise der Systematik eingegangen und es wurden auch schon Massnahmen vorgeschlagen, um Artenkenntnisse zu fördern. Leider ist seither nicht sehr viel passiert.
In welchen Situationen braucht es denn Spezialisten für einheimische Arten?
Zum einen beim Biomonitoring. Dieses erfasst und bewertet Veränderungen unserer Umwelt mithilfe von Arten. Wenn bestimmte Arten an einem Ort vorhanden sind oder fehlen, kann man dadurch die Qualität eines Lebensraumes bestimmen. Ein konkretes Beispiel ist die nationale Beobachtung der Oberflächengewässerqualität (NAWA) des Bundes. Diese nutzt zum Beispiel die Gesamtheit der wirbellosen Tiere am Gewässergrund als Indikator für die Wasser- und Lebensraumqualität der Schweizer Gewässer. Auch in der Forst- und Landwirtschaft, der Fischerei oder der Aquakultur braucht es Artenkenntnisse. Und ein ganz grosser Bereich ist natürlich der Arten- und Lebensraumschutz und die Biodiversitätsforschung – beides ist ohne Artenkenntnisse gar nicht möglich.
Wie ist es denn dazu gekommen, dass sich immer weniger Personen mit einheimischen Arten auskennen?
Ursprünglich war es Bestandteil von Hochschulstudiengängen, Artenkenntnisse zu vermitteln respektive solche Fachpersonen auszubilden. Zum einen, um den wissenschaftlichen Nachwuchs heranzuziehen, zum anderen für angehende Lehrkräfte. Heute aber kann man Artenkenntnisse längst nicht mehr nur an der Uni erlangen – man braucht nicht mehr zwingend einen Hochschulabschluss. Vielmehr wird das Feld abgedeckt von Fachhochschulen, Museen, dem Schweizerischen Informationszentrum für Arten Info- Species, privaten Anbietern, von NGOs und so weiter. Grundsätzlich kann dort jeder einen Kurs machen und Prüfungen ablegen, um sich auszubilden und zu spezialisieren.
Es ist also nicht mehr zwingend das klassische Biologie- oder Zoologiestudium nötig?
Die biologischen Wissenschaften haben sich in den vergangenen Jahrzehnten stark diversifiziert und spezialisiert. Sie haben sich neuen Anforderungen und Gebieten in der Forschung angepasst und haben mittlerweile andere Prioritäten in der Forschung und der Lehre als die klassische Systematik, die für die Artenkenntnisse zentral ist. Deswegen sind auch Lehrstühle, die so systematisch taxonomisch ausgerichtet waren, abgebaut worden. Die Unis haben ursprünglich vor allen Dingen in der Grundausbildung eine wichtige Rolle gespielt. Es ist zwar nicht so, dass die Unis dies heute gar nicht mehr anbieten. Aber nach Aussen ist kaum mehr sichtbar, welche Artenkenntnisse genau Teil welches Studiums sind, in welcher Tiefe und für welche Organismengruppen.
Gibt es sonst schon konkrete Massnahmen?
Es geht in einem ersten Schritt darum, die verschiedenen Bildungsanbieter, also Universitäten und Fachhochschulen, Museen und botanische Gärten, Daten- und Informationszentren von InfoSpecies, Fachgesellschaften, Vereine und private Bildungsanbieter, zusammenzubringen, Partnerschaften zu etablieren und die wichtigsten Lücken aufzuzeigen. Wo braucht es zum Beispiel Zertifizierungen als Leistungsausweis, damit Interessierte auch einen Anreiz haben, sich ausbilden zu lassen? Praxis und Ausbildung müssen besser miteinander verzahnt werden. Und es geht auch darum, Mentoringprogramme aufzusetzen – dass man Leute, die ein «Super-Wissen» haben, mit dem Nachwuchs zusammenbringt.
Das Fernziel ist letztlich, die Zahl der Fachleute mit Artenkenntnissen zu erhöhen – ab wann könnte die Wende kommen?
Realistisch sind vielleicht zehn Jahre. Es gibt ja genug junge Leute, die Interesse haben, und die man jetzt einfach abholen muss. Wenn wir es schaffen, die Leute zu motivieren, auf Kursprogramme hinzuweisen und auf berufliche Perspektiven, die sie mit erworbenen Artenkenntnissen haben, dann ist es durchaus denkbar, dass diese sich in etwa zehn Jahren zu Fachpersonen spezialisiert haben. Gegenwärtig sind viele Fachleute im höheren Lebensalter. Die gehen in zwei, drei Jahren in Pension, womit sich die Lage noch verschärfen dürfte. Der Mangel an Artenkenntnissen wird also noch viel akuter.
Ramona Nock
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